Biberacher Bauernprozess. “Tritt in die Eier” gab's nicht. Bauer trotzdem verurteilt.
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Redaktionsteam: Stef Manzini und Michael von Lüttwitz
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Der Angeklagte Johannes B. hat keinen Polizisten getreten. Auch nicht in die Genitalien. Vielmehr hat der Polizist S. einen sogenannten ”Stopptritt” gegen den Angeklagten ausgeführt, der bedeutet bis hier hin und nicht weiter. Auf diesen ”Stopptritt” folgte ein ”Reflextritt” des Angeklagten, der ging aber ins Leere. Weshalb der Angeklagte zum Erstaunen des Publikums trotzdem verurteilt wurde, lesen sie in einer neuen Geschichte um die “Biberacher Bauernprozesse”, zum politischen Aschermittwoch der ”Grünen” im Februar 2024.
”Dass man gegen die Person ermittelt, die mich nicht getroffen hat, war mir nicht bekannt.” Diese Zeugenaussage, die der Polizist S. am 20. Mai im Biberacher Amtsgericht machte, ist bezeichnend für den Charakter der ”Bauernprozesse”. Sie bezieht sich auf den Vorwurf eines ”Tritts in die Genitalien” eines Bauern gegen einen Polizisten- den es nie gegeben hat. Abseits dieses Tatverdachts, der somit ausgeräumt ist, stehen sich viel mehr zwei grundlegende Interpretationen des Aschermittwochs 2024 und den Bauernprotesten rund um die politische Veranstaltung der ”Grünen” um die Biberacher Stadthalle gegenüber. Die schweren Tatvorwürfe, die die Staatsanwaltschaft erhebt und die die Richterin bestätigt sieht und dementsprechend urteilt, und die Argumentation der Verteidigung, die glaubt in den Urteilen ein Mahnmal gegen die Meinungsfreiheit zu erkennen.
Für den betroffenen Polizisten S. war die Sache mit dem Tritt, der ja nicht traf, abgearbeitet und abgehakt gab er vor Gericht bekannt. Sehr interessant und aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist der Artikel zum ersten Prozesstag, der Link dazu befindet sich am Artikelende.
Man kann sich auch an diesem zweiten Prozesstag in Biberach des Eindrucks nur schwer entziehen, dass hier verurteilt werden muss, egal wie dünn die Beweislage ist. Das liest sich an den erstaunten Mienen des Publikums angesichts des verkündeten Urteils ab. Sollte doch laut dem ersten Verhandlungstag nun der Polizist gefunden werden, der den angeblichen ”Eiertritt” in die Genitalien abbekam, musste auch dieser neue Zeuge Polizist S. einräumen, dass er nicht getroffen wurde. Stattdessen hat dieser Polizist einen sogenannten ”Stopptritt” gegen den Angeklagten ausgeführt. Das ist eine polizeiliche Maßnahme, um deutlich zu machen ”keinen Schritt weiter”, auf den ein “Impulstritt” des Angeklagten folgte, der aber nicht traf.
Um was geht es eigentlich bei den ”Bauernprozessen” in Biberach?
Sümeyra Öz, Fachanwältin für Strafrecht und Verteidigerin des Angeklagten Johannes B. stellte in ihrem Plädoyer klar: ”Was ist denn schon wirklich passiert? Die Begleitfahrzeuge der Politiker wären 15 Minuten später weggekommen, ja, mein Gott.” Sie bat die Richterin in diesem Prozess eine politische Haltung des Angeklagten nicht zum Mahnmal gegen Meinungsfreiheit zu machen. Die Bitte verhallte ungehört und es entstand der Eindruck, dass die Richterin wenig Interesse an der Argumentation der Verteidigung hatte, denn sie ging in ihrer Urteilsbegründung gar nicht darauf ein.
Maßgeblich wichtig scheint im Kontext mit den ”Aschermittwochsvorgängen” in Biberach insgesamt zu sein, und hier einmal ausdrücklich festzuhalten, das laut Recherchen der Verteidigerin Sümerya Öz eine komplette Blockade der Stadthalle Biberach, wie bisher stets behauptet, nie den Tatsachen entsprach. Wie sonst hätte der populäre ”Grüne” Jürgen Trittin ungehindert in die Stadthalle gelangen sollen? Diesen außerordentlich wichtigen Aspekt hat das Gericht bewahrheitet- also als wahr bezeichnet. Diese vom Gericht bestätigte Tatsache lässt alle ”Bauernurteile” in einem anderen Lichte erscheinen. Laut Polizeiangaben habe es nie eine Gefahrenlage dafür gegeben die gesamte Veranstaltung abzusagen. Dies sei ausschließlich auf Willen der Politiker von B´90/die Grünen erfolgt. stattzeitung.org hatte über diesen wesentlichen Aspekt bereits berichtet. Worin also bestand die Grundlage für den massiven Polizeieinsatz, und die darauffolgend harten Urteile gegen die Bauern? Etwa in der Maßgabe der Landesregierung? Ministerpräsident Kretschmann und Innenminister Strobel hatten im Vorfeld harte Urteile angekündigt, und eine 20-köpfige Ermittlergruppe eingesetzt.
Nochmals zu den zwei Seiten der Sichtweisen die sich im Biberacher Amtsgericht gegenüberstehen:
Der als Zeuge geladene Polizist schilderte unglaublich ausführlich das Geschehen aus Sicht der Einsatzkräfte, die ganz offensichtlich unter hohem Druck gestanden hatten. ”Es gab ein Handgemenge, es war verbal aggressiv und es wurden seitens der Bauern die Füße in den Boden gestemmt und auch mal getreten”, sagte er aus. Es kam zum Stockeinsatz und auch Pfefferspray wurde von den Polizeikräften angewendet, da die Demonstranten auf mündliche Anweisung hin die Fläche nicht räumten. Ein Megaphon wurde nicht verwendet, aber es wäre seitens der Polizei auch so deutlich gemacht worden, dass die Straße zu räumen sei. Wie war das nur vermittelbar in dem lauten Tumult? Maßgeblich im Zusammenhang mit dem Prozesstag am 20. Mai und den Angeklagten Johannes B. ist jedoch die Frage, welche Schuld den Angeklagten nun genau trifft? Der ursprüngliche Vorwurf ”Widerstand und Körperverletzung” durch einen Tritt in den Genitalbereich des Polizisten kann es nicht sein, denn der angebliche Tritt hat nicht stattgefunden und ergo auch nicht getroffen, das brachte der Prozesstag klar hervor. ”Er war nicht aktiv, keine Gewalt und so weiter, ich habe mich sehr gefreut ihn hier zu vertreten”, sagte Rechtsanwältin Sümeyra Öz über ihren Mandanten Johannes B.
Für die Strafverteidigerin ist es ein Unding, die ganze Protestversammlung der Landwirte zum politischen Aschermittwoch der grünen Partei zu kriminalisieren. ”Hier gibt es keinen Landfriedensbruch”, stellte sie fest. Die Aussagen des Polizist S. wirkten vielmehr konstruiert, da er sich erst zwei Tage vor der Verhandlung das Video zur Demonstration angesehen habe, so Sümeyra Öz. Die Forderung der Verteidigerin konnte also nur auf Freispruch lauten.
Das alles ließ die Richterin nicht gelten. Der Angeklagte habe Gewalttätigkeit gezeigt, Artikel 8 Grundgesetz schütze friedliche Versammlungen, der Angeklagte könne sich jedoch nicht darauf berufen, so die Urteilsbegründung der Richterin.
Fassen wir nochmals zusammen: Es kann nicht sein, was nicht sein darf: Freispruch.
Hier in protokollarischer Form der Prozesstag in Biberach, stattzeitung.org war wiederum vor Ort und berichtet aus dem Gerichtssaal:
Am 8. Mai 2025 kam es im Sitzungssaal 10 des Biberacher Amtsgerichts zu einem weiteren Kuriosum. Der Angeklagte Johannes B. soll unter anderem einem Polizisten in die Genitalien getreten haben. Als sich herausgestellt hatte, dass der Angeklagte den vermeintlichen Polizisten gar nicht getreten hatte, zerbröckelte regelrecht der Vorwurf. Daraufhin vertagte die Richterin die Hauptverhandlung mit der Vorgabe, derjenige Polizist im Ermittlungsteam, der eine falsche Opferzuordnung machte, solle den tatsächlich getretenen Polizisten ausfindig machen und als Zeugen laden. Natürlich wurde gegen den falsch ermittelnden Beamten nichts eingeleitet, wenngleich das Strafgesetzbuch für falsche Verdächtigung einen Straftatbestand vorsieht. Darüber hinaus sieht Paragraf 266 Absatz 1 Strafprozessordnung vor, dass bei einer Nachtragsanklage, worauf die Forderung der Richterin hinauslief, der Angeklagte zustimmen muss. Da er nicht zwecks Zustimmung gefragt wurde, scheint die Richterin ihr Vorgehen nicht als Nachtragsklage eingestuft zu haben.
Nun fand also am 20. Mai 2025 im Sitzungssaal 10 des Biberacher Amtsgerichts der Prozess im Reigen der “politischen Bauernprozesse” seine Fortsetzung. Die von der Richterin nachträglich in Auftrag gegebene Untersuchung durch den seinerseits falsch ermittelnden Polizisten erweckt den Eindruck, dass sie einem Verurteilungszwang unterliegt. Oder anders ausgedrückt: Übt das herrschende politische Klima Einfluss auf die Rechtsprechung aus?
Für den Tritt in die Genitalien war nunmehr im Zuge der potenziellen Nachtragsanklage ein neuer Zeuge aus dem Polizistenreigen des ”Aschermittwocheinsatzes” geladen worden. Vor der Zeugenvernehmung gab die Richterin dem Polizisten beziehungsweise Zeugen S. die Maßgabe an die Hand, dass er sich nicht selbst belasten müsse für eine eventuelle Straftat.
Der Zeuge S. gab nach langem Vorspann an, dass er dem Angeklagten am Aschermittwoch kurz gegenüberstand und einen sogenannten ”Stopptritt” gegen dessen Beine einsetzte, damit der Angeklagte nicht weiter auf ihn zu geht. Reflexartig erfolgte vom Angeklagten ein Gegentritt, welcher aber nicht traf, weil sich der ”Stopptritt-Polizist” nach seiner Attacke sogleich zurückgezogen hätte. Somit war auch der zweite körperliche Angriff des Angeklagten gegen einen Vollzugsbeamten im Nichts verpufft.
Polizist S. sagte im Weiteren aus, dass der tiefere Zweck seines ”Stopptritts” darin liegt, den getretenen Demonstranten in einer Art Reflexreaktion zurückweichen zu lassen, wodurch die Polizei weiter vorrücken kann. Die Frage der Staatsanwaltschaft, ob der Zeuge S. den Eindruck hatte, dass der Gegentritt gezielt ihm gegolten hätte, bejahte er. In der Vernehmung durch die Verteidigung führte der Polizist S. aus, dass er dem Gegentritt jedoch keine Relevanz zugemessen hatte, da er nicht getroffen wurde. Eine Dokumentation des Tritts durch die Polizei erfolgte nicht, da die Befehlsstelle, welche per Funk über den ”Stopptritt” und den anschließenden Gegentritt ins Leere informiert wurde, darin keine notierungswürdige Relevanz sah.
Die Richterin änderte den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung aufgrund der Rücknahme des Strafantrags durch den angeblich geschädigten Polizisten in den Tatbestand der versuchten Körperverletzung gegenüber des im Zuge der ”Nachtragsanklage” geladenen Polizisten um. Mit anderen Worten, ein reflexartiger Tritt ins Leere, sozusagen ein “Phantomtritt”, reicht bereits für eine Verurteilung aus. Ob der Angeklagte einen unbedingten Handlungswillen hatte, wurde gar nicht untersucht. Letztlich erhielt er aufgrund der Vorwürfe des Landfriedensbruchs, der Nötigung, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und des tätlichen Angriffsversuchs gegen Vollstreckungsbeamte eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten auf Bewährung und 2.000 Euro Geldstrafe.
Trotz mehrfacher Nachfragen gab die Verteidigerin von Johannes B. bis Redaktionsschluss nicht bekannt, ob sie mit ihrem Mandanten in Berufung/Revision geht. Sollte dieser Prozess also vor dem Landgericht in Ravensburg ein Nachspiel haben, werden wir darüber berichten.
Hier der Artikel zum ersten Prozesstag gegen Johannes B.: “Die Biberacher Bauernprozesse und der “Impuls”“ im Genitalbereich. Ein Tritt in die “Eier”, oder doch keiner?”
Einige Artikel unserer Berichterstattung zu den “Biberacher Bauernprozessen”:
- Artikel vom 14.02.2024: “Pfefferspray gegen Bauern. Aschermittwoch der Grünen in Biberach abgesagt.”
- Artikel vom 16.02.2024: “Aschermittwoch Biberach. Pöbelte hier die Polente?”
- Kommentar vom 16.02.2024: “High Noon in Biberach.”
- Artikel vom 19.11.2024: “Aschermittwoch Biberach, jetzt Anklage wegen Landfriedensbruch gegen Bauern.”
- Artikel vom 18.12.2024: ““Er wollte nicht nur Bilder machen, auch von der Grundeinstellung her”, Staatsanwalt Abt in Biberach.”
- Kommentar vom 18.12.2024: “Der Freitag, der 13. in Biberach war ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit.”
- Artikel vom 19.12.2024: “HELFT UNS DABEI RECHT ZU KRIEGEN! Patrik Baab zum Urteil von Biberach.”
- Artikel vom 11.01.2025: “Wie kam es zum Urteil gegen die Pressefreiheit in Biberach?”
- Kommentar vom 11.01.2025: “Wenn Einstellung und Haltung als Nötigung bestraft wird, hat die Freiheit der Gedanken ausgedient.”
- Artikel vom 13.03.2025: “Der “Journalisten-Prozess” in Biberach.”
- Artikel vom 17.03.2025: “Wieder Skandalurteil gegen Aschermittwochsbauern.”
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