Zurück in die Zukunft. Kein gutes Rezept für Überlingen.
von Stef Manzini (Kommentare: 1)
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- Mehr Demokratie wagen fängt vor der eigenen Haustür an.
- Mit 111 Stimmen Vorsprung gewinnt Jan Zeitler die Stichwahl zum Überlinger OB.
- Martin Hahn verliert denkbar knapp, trotz großer Wahlversprechen.
- Ein bloßes ”Weiter so” kann es in Überlingen nach diesem Ergebnis nicht geben.
Überlingen hat einen neuen Oberbürgermeister gewählt. Es ist der ”alte”, Amtsinhaber Jan Zeitler. Die Freude in Zeitlers Lager dürfte groß sein. Die Enttäuschung im Team Martin Hahn wohl noch größer. War man sich zu sicher gewesen? Kontinuität war den Überlingern wichtiger als etwas Neues zu wagen. Typisch Überlingen, denn darin steckt das Wort Wagnis. Aber gegen ein einfaches ”Weiter so” haben sich im Grunde die Hälfte der Überlinger Bürger auch glasklar ausgesprochen. Einen Oberbürgermeister kann man nicht aus dem Amt jagen, wenn sich Unmut breit macht. Jan Zeitler (SPD) sollte sich dennoch warm anziehen. Vorzugsweise mit einem Mantel gekauft in einem Überlinger Geschäft, denn es herrscht großer Frust bei den Einzelhändlern. Diese Klientel ist nicht für noch mehr ”Straßenschließungen” zu gewinnen, und sieht den eigenen Anteil an einer lebendigen Stadt keineswegs genug gewürdigt. Die Kultur spielt ebenfalls eine große Rolle, die vielen Stimmen, die Dennis Michels erhalten hatte, sprechen eine deutliche Sprache. Dieser Bereich kommt in der Stadtspitze Zeitler-Kölschbach viel zu kurz. Vielleicht sollte Zeitler einen ”Kulturbürgermeister” installieren, das hatte Überlingen mit Lutz schon einmal. Nur zuverlässig und zielorientiert führte bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag nicht zu einem satten Wahlsieg für den amtierenden OB. Das lag jedoch etwas weniger an dem charmanten Friseur Dennis Michels, als vielmehr an dem grünen Landtagsabgeordneten Martin Hahn. Sein 10-Punkte-Plan enthielt viele verlockende Versprechungen. Nicht alle Überlinger hatten wohl geglaubt, dass er sie einlösen würde, oder könnte. Der Stadtsäckel ist stark in Anspruch genommen. Die Unterbringung vieler Migranten ist herausfordernd und kostet beispielsweise immense Summen. Hier geht es Überlingen nicht anders als anderen Kommunen.
Beim ersten Wahltermin im November hatte der Profipolitiker Martin Hahn noch knapp vor Zeitler gelegen. Der Landtagsabgeordnete fuhr eine große und kostspielige Kampagne. Er ist der Gatte einer ehemaligen Überlinger Oberbürgermeisterin, Sabine Becker wurde vor acht Jahren durch Zeitler ersetzt- und bei ihrer verlorenen Wahl von den Überlingern regelrecht aus dem Amt geworfen. Wurden dem ”Grünen-Hahn” auch die vielen Plakate mit den Bekenntnissen und Gesichtern Überlinger ”Lokalgrößen” zum Verhängnis? Gar manch einer witterte ”Lobbypolitik”, ein Attribut, das gerade der ”Heizungsdesaster” und ”Windradpartei” oft angehängt wird.
Ging man hörend durchs Wahlvolk, äußerte mancher hinter vorgehaltener Hand Bedenken gegen Hahn, der Satz ging dann immer wieder in etwa so: ”Ich bin eigentlich nicht für Zeitler, aber den Hahn will ich schon gar nicht”. Auch sein Abrücken von Bündnis 90 / die Grünen, für die er immerhin seit vielen Jahren im Stuttgarter Landtag sitzt, ”ein Bürgermeister braucht keine Farbe”, O-Ton Martin Hahn, hinterließ bei manchem befremden. ”Auch wenn ich die Grünen nicht mag, man sollte seiner Partei gegenüber loyal sein, oder austreten”, so sagte es mir eine ältere Dame abseits der Wahlstände.
Was nun, Herr Zeitler? Ein stures weiter wie bisher ist nicht genug und Überlingen hat Besseres verdient. Beispiele gefällig? Personalführung geht anders. Alles zubauen, praktisch jede Grünfläche, ist keine Lösung und für das Stadtklima- sowohl was Klimaereignisse wie Starkregen, als auch das Wohlbefinden betrifft. Das erzeugt Störgefühle, siehe Baugebiet ”St. Leonhard”. ”Frischen Wind” versprach Michels, auch den wollten ein paar tausend Überlinger Bürger als OB, also lassen sie den Wind wehen. Wie wäre es einmal mit einer Friedenspräambel für Überlingen oder einer Städtepartnerschaft mit Ufa? Ihr Parteifreund Olaf Scholz macht mit ”Frieden” den Bundestagswahlkampf. Die Menschen wollen Frieden und sie wollen sich auch dazu bekennen. Dazu ist keine Stadt zu klein. Die Ehrenbürgerschaft für Julian Assange haben sie abgelehnt. Warum eigentlich? Holen Sie das nach. Es ist ein Prädikat für unsere Stadt. Längst wissen viele Menschen, das die EU nur ein milliardenschwerer Papiertiger ist. Veränderung geschieht immer von unten, da kann man sich nicht immer mit ”Bundespolitik”, die es im Rathaus nicht zu entscheiden gibt, herausreden. Es geht ums Klima. Und zwar ums Meinungsklima. Holen Sie weitere Versäumnisse nach. Laden Sie nun endlich die Montagsdemonstranten zum Gespräch ein, die ihnen 300 Unterschriften mit der Bitte zum Dialog ins Rathaus brachten. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, dass hier in unserer Stadt niemand ausgegrenzt wird, bloß weil er sich einen fragwürdigen ”Impfstoff” nicht hat verpassen lassen- und wie längst bekannt ist, nichts Falsches gemacht hat. Lesen sie die veröffentlichten RKI-Leaks, Sie als Bürgermeister müssen diesbezüglich mit ihrem Wissen auf dem neuesten Stand sein- um verantwortungsvolle und mutige Entscheidungen für unsere Stadt zu treffen, wenn wieder einmal Schulschließungen anstehen.
Sie, Herr Oberbürgermeister, sind in erster Linie ein Verwalter, und das machen Sie gut, aber bedenken Sie, nur zu verwalten reicht nicht mehr. Gewinnen kann man die Herzen der Menschen, auch derer, die Sie nicht wollten und nicht wählten, nicht mit den Methoden eines Pardon! Apparatschiks.
Herr Zeitler, es haben Ihnen 111 Bürger mehr das Vertrauen ausgesprochen als ihrem Kontrahenten Martin Hahn. Das ist denkbar knapp. Es ist nicht die breite Mehrheit, die Sie trägt. Wäre der Ingenieur Strenger bekannter gewesen....
Feiern Sie also ihren Wahlsieg in vollen Zügen, aber dann krempeln sie wieder die Ärmel hoch. Aber machen Sie sich Gedanken! Werden Sie ein Bürgermeister für alle Überlinger, der sich traut alte eingeschlagene Pfade auch mal zu verlassen? Schauen Sie auf Hahn und Michels, was wollten die Bürger, die lieber einen anderen Bürgermeister gehabt hätten als Sie?
”Mehr Demokratie wagen” hat ihr Parteigenosse Willy Brand das genannt. Mehr Demokratie wagen heißt Meinungsvielfalt nicht nur zu erdulden, sondern sie zu fördern. Andere Standpunkte gelten lassen ist der Urkern der viel beschworenen und leider sehr abgenutzten Demokratie. Vielfalt ist der CSD, aber auch die Montagsdemonstrationen, jede Woche vor ihrem Rathaus. Und vor allem Herr Zeitler, zeigen Sie, dass sie ein Meister der Bürger sein können, nicht nur im Wahlkampf, wenn es darum geht sich ein Amt zu sichern. Querdenken galt lange als eine Auszeichnung- und nicht als ein Schimpfwort. Lebendige Stadtpolitik muss ausgetretene Pfade verlassen, wenn sie lebendig bleiben will.
Stürmische Zeiten stehen Ihnen mit der neuen ”Nervensäge” Thorsten Peters (AfD) im Gemeinderat bevor. Einen Vorgeschmack haben Sie schon. Das ist gut so, denn nichts ist für die Bürger einer Stadt schlechter als ein homogener Stadtrat. Es braucht im Überlinger Stadtrat Menschen, die den Finger in die Wunde legen, und die dabei nichts zu verlieren haben. Thorsten Peters hat übrigens Fairness bewiesen, und die letzten Tage des Wahlkampfs nicht mit einem ”Skandal” torpediert, den er meint zu erkennen und der ihnen auf die Füße fallen könnte. Über diesen ”Skandal” lesen sie dieser Tage in ihrem unabhängigen und ebenfalls fairen Medium, der stattzeitung.org. Auch wir sorgen für ein Meinungsklima, das niemals gleichgeschaltet sein darf in einer Stadt in einem Land, in dem eine Demokratie sein soll.
Zurück in die Zukunft ist kein gutes Rezept, wagen sie mehr Demokratie, lieber Herr Zeitler.
stattzeitung.org wird bei Oberbürgermeister Jan Zeitler einen Interview-Termin nachfragen. Zu Beginn des neuen Jahres 2025 wäre die richtige Zeit für ein Resümee und einen Ausblick für Überlingen- natürlich in der Art, wie wir kritischen Journalismus verstehen. 😊 Wir haben viele Fragen, ob Sie uns Antworten möchten, Herr Zeitler? Überlingen würde das jedenfalls guttun!
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Kommentare
Kommentar von Markus Meder |
Liebe Stef,
einmal mehr großes Kompliment für Deinen Artikel hier zum Ausgang der Überlinger OB Wahl. Du betreibst, Gott sei es gedankt, noch Journalismus, wie wir das aus vergangenen Tagen unserer lieben Bundesrepublik gewohnt waren. Sagen, was ist, abseits von einem Meinungskorridor. Das sollte sich jede Journalistin und jeder Journalist hinter die Ohren schreiben.
So verfolge ich natürlich als Exil-Überlinger, der seine Heimatstadt nach wie vor liebt und dem deren Geschicke somit nicht einerlei sind, auch das lokalpolitische Geschehen.
Ich kann dem neuen (alten) OB nur wünschen, dass er die Botschaft des Souveräns (Wahlvolk) richtig interpretiert und die nächsten acht Jahre versucht mehr zu einen und weniger zu spalten. Ich erinnere mich noch gut an die von der Verwaltung angestrengten Strafmaßnahmen gegen Überlinger Bürger in der unseeligen Coronazeit. Als Stichworte nenne ich hier nur die Maßnahmen gegen den damaligen Hänselevater und meinen Weggefährten Harald Kirchmaier und die drei Skifahrer auf der Luisenhöhe.
Mehr Nähe und Wärme zu den Bürgern und weniger Ausübung von nackter und kalter politischer Gewalt macht das Leben im Kleinen wie im Großen erst lebenswert.
Man sollte auch als Politiker im Kleinen wie im Großen nie vergessen, dass es eine höhere Instanz als uns Menschen gibt, der jeder von uns gegenüber verantwortlich ist und der wir am Ende unserer Tage Antworten schuldig sind.
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