"Aufarbeitung“ des Aschermittwochs in Biberach glich einer Schulstunde mit Oberlehrer Kretschmann.

von Redaktionsteam (Kommentare: 1)

Michael von Lüttwitz und Stef Manzini

Bild: s!!z-Team

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  • Politisches Wehklagen zu den Protesten am Aschermittwoch. Ministerpräsident in Biberach.
  • Veranstaltungsvorkehrungen zum Thema “Politische Streitkultur” erinnerten an Totalitarismus.
  • Baden-Württembergs Ministerpräsident predigte Doppelmoral.
  • Diskrepanzen zwischen polizeilicher Darstellung und erlebter Sicht der Vorkommnisse am Aschermittwoch.
  • Kosten für derartige Politikerveranstaltungen laufen aus dem Ruder.

Am 22. März 2024 fand in der Biberacher Gigelberg-Halle ein politischer Abend zu dem Thema „Politische Streitkultur“ unter dem Gesichtspunkt: "Was hält eine moderne Demokratie und eine Gesellschaft zusammen und wie geht der Staat mit Protesten um?“, statt. Als prominente Gäste kamen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Innenminister Thomas Strobl aus dem Landtag Baden-Württemberg. Eingeladen hatte die Stadt Biberach. Sie war mit Oberbürgermeister Norbert Zeidler und Landrat Mario Glaser vertreten, dazu gesellte sich der Polizeipräsident von Ulm, Bernhard Weber.

Die gesamte Veranstaltung mutete befremdlich an. Namentlich bestellte Karten konnte man nur unter Vorlage des Ausweises abholen. In die Halle gelangte man erst nach mehrmaliger Ausweiskontrolle. Zu allem Überfluss musste man Fragen, die man stellen wollte, spätestens zehn Tage vor der Veranstaltung auf entsprechender Homepage abgegeben haben. Ehrenhalber sei erwähnt, dass die Organisation am Veranstaltungstag dann doch noch ein paar Fragen zuließ. Ton-, Film- und Videoaufnahmen waren verboten. Fotoapparate musste man an der Garderobe abgeben. Läuft eine Veranstaltung so unter dem Motto moderne Demokratie ab oder sind das Vorzeichen von Totalitarismus, fragte sich eine Besucherin verhalten, die in einer angespannt wirkenden Besucheratmosphäre auf die sich verspätende Politikergarde wartete?

Die mit Spannung erwartete Rede vom Ministerpräsidenten Kretschmann entpuppte sich nach einem kurzen Streifzug durch die Geschichte Biberachs als politische Reinwaschung beziehungsweise Therapiestunde um die Bauern- und Mittelstandsproteste zur Aschermittwoch-Veranstaltung der Grünen, die sich deutschlandweit eines medialen Interesses erfreut hatte. stattzeitung.org war vor Ort dabei und berichtete darüber in "Aschermittwoch Biberach. Pöbelte hier die Polente?".

Das war nicht Biberach, das war ein Ausreißer, waren Kretschmanns moralisierende Worte, um dann mit erhobenem Zeigefinger darauf hinzuweisen, dass nur legitime Demonstrationen Erfolg haben können. Die letztliche Rücknahme von politischen Einschränkungen gegenüber den Bauern ist das Ergebnis vieler legitimer Demonstrationen, verkündete Kretschmann. Er vergaß aber im übertragenen Sinn zu sagen, dass man den Bauern erst mal 100 Prozent abgenommen hatte, um ihnen dann ein paar Prozent wieder zurückzugeben, weil sie legitim demonstrierten. Eine Gruppe von Leuten wollte am Aschermittwoch nur ihre Wut rauslassen, das zerstört den Kern der Demokratie, belehrte Kretschmann. Vielleicht hätte er sich mal überlegen sollen, ob die angestaute Wut, von der er sprach, nicht ein Ergebnis der praktizierten Politik ist, sprich die Missachtung der Bedürfnisse der Menschen.

Zivilisierter Streit hält die Gesellschaft zusammen, unzivilisierter Streit spaltet, war eine weitere Ausführung von Kretschmann. Als Signal des Abends sollten laut dem Ministerpräsidenten die Besucher mit nach Hause nehmen, dass man Regeln und Gesetze beachten müsse, um die Freiheit zu bewahren. Warum hielt sich die Regierung bei der Corona-Krise nicht selbst einmal daran?

Strobl als Innenminister rollte richtiggehend die Protestaktion des Aschermittwochs auf. Er betonte, dass Gewalt nie das Mittel der politischen Auseinandersetzung sein darf. Leider ging er auf die Polizeigewalt mit beispielsweise Pfefferspray nicht ein. Weiter betonte er, miteinander reden ist extrem wichtig. Bedauerlicherweise vergaß er zu erwähnen, dass bei der Corona-Krise aufgrund staatlicher Vorgaben eine kritische Kommunikation nicht möglich war.

Voller Stolz verkündete Strobl, dass eine 20-köpfige Ermittlergruppe den Aschermittwoch strafrechtlich aufarbeitet. Dabei wurde bei den wenigen direkten Wortmeldungen deutlich, dass es große Diskrepanzen hinsichtlich objektiver Sachfakten zwischen Polizeidarstellung und Besuchern der Veranstaltung gibt. So soll plötzlich im Auto mit einer zerborstenen Scheibe außer dem Fahrer noch eine Phantomperson auf dem Rücksitz gesessen haben, oder die nicht durchgeführte Ankündigung der Polizeigewalt zwecks Auflösung der Menschenmenge auf der Straße neben der Stadthalle wurde im Nachhinein als angekündigt deklariert. Das hatten Augenzeugen anders gesehen. Strobl versprach objektive Aufklärung zu diesen widersprüchlichen Sachverhalten.

In der Diskussion wurde auch deutlich, dass die Polizei keine Veranlassung sah, das Aschermittwoch-Treffen in der Stadthalle abzusagen. Die Absage ging allein auf Veranlassung vom Veranstalter aus, wobei zu erwähnen ist, dass Kretschmann als Gastredner wegen der Demonstration erst gar nicht anreiste, was er bedauerte und versprach, diesen Fehler nicht nochmals zu machen. War das vielleicht der tatsächliche Grund für die Absage der Aschermittwoch-Veranstaltung durch den Veranstalter?

Die Kosten für den Versuch der Aufarbeitung des Aschermittwoch-Protests mit dem politischen Abend dürften sich auf einige hunderttausend Euro belaufen, zumindest hat eine kleinere Fastenpredigt-Veranstaltung mit Kretschmann auf dem „Berg Bussen“ mit 331.000 Euro zu Buche geschlagen. Solche Beträge, die der Steuerzahler finanzieren muss, nur um Sichtweisen von Politikern vor Ort zu erfahren, stellen derartige Veranstaltungen in ein mehr als fragwürdiges Licht.



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Kommentare

Kommentar von Gerhard Fischer |

Wenn diese VA ein Zeichen von Demokratie, Diskussion, Offenheit und vor allem Einsicht gewesen sein sollte, dann Gute Nacht Ländle.
Es wird eines großen Wandels der Gesellschaft von BW, den Wählern, bedürfen, um diese Art der Politik zu verabschieden.
die Frage und des Pudels Kern, sind die Baden-Württemberger schon so weit, dass sie mehrheitlich ein anderes, ein wirklich freiheitlich direkt-demokratisches System im Ländle wollen.
Dann, erst dann wird es ein Vorwärts in eine pluralistisch offene Gesellschaft geben.
Mit diesem MP auf jeden Fall nicht!

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