Sieg über den Welthunger mit weniger Pestiziden? Die "Glyphosat-Lüge".

von Marita Lauser (Kommentare: 0)

  • Überlingen war 2004 die erste “gentechfreie Landschaft” Deutschlands.
  • Das gentechnisch veränderte Saatgut “Roundup-Ready” funktioniert nur mit dem Totalherbizid Glyphosat.
  • “Bündnis gentechnikfreie Anbauregion Bodensee-Allgäu-Oberschwaben” lud Agrarökologe Prof. Antonio Andrioli nach Owingen ein.
  • Professor Andrioli räumt mit angeblichen Vorteilen der Gentechnik auf.
  • Klares Statement zu Risiken des Freihandelsabkommens Mercosur, das seit 1999 verhandelt wird und bald abgeschlossen werden soll.

Im Jahr 2004 bekannte sich der Überlinger Gemeinderat, unter dem damaligen Bürgermeister Weber, zur ersten gentechnikfreien Landschaft. Daraufhin wurden drei Hinweisschilder mit der Aufschrift "Stadt Überlingen – gentechfreie Landschaft" mit Samenkorn der europaweiten Aktion "Save our Seeds", jeweils unter den Ortseingangsschildern angebracht. Der Musiker, Poet und Aktivist Eloas Min Barden, alias Jens Lachenmayr und seine Mitstreiter, vollbrachten damals das Kunststück alle Bauern Überlingens und Umgebung gegen die Gentechnik zu vereinen. Um sein Ziel zu erreichen, organisierte er unter anderem 2004 eine große Demonstration gegen die Gentechnik in Überlingen und dokumentierte die damaligen Gegebenheiten in mehreren Videos auf dem YouTube Kanal "Augenblick TV". 2019 wurden diese Schilder ohne öffentliche Erklärung von der Stadtverwaltung Überlingen abmontiert, den Grund hierfür konnte Lachenmayr, damals nicht erfahren, wie er in zwei Videodokumentation, ebenfalls auf dem YouTube Kanal "Augenblick TV" dokumentierte. Steht der Überlinger Stadtrat überhaupt noch hinter dem damaligen breiten bürgerlichen Konsens zur gentechnikfreien Region?

Das "Bündnis gentechnikfreie Anbauregion Bodensee-Allgäu-Oberschwaben" veranstaltete im Mai 2023 einen Vortrag mit dem Titel "Gentechnik durch die Hintertür", gehalten von Antonio Andrioli, Professor für Agrarökologie. Der Professor mit deutschen Wurzeln aus Brasilien berichtete aus eigener Erfahrung von den Problemen mit der "grünen" Gentechnik in seinem Heimatland.

Einer seiner Kernaussagen war, dass bei einer nicht erteilten Zulassungsverlängerung von Glyphosat durch die EU-Kommission voraussichtlich im November 2023 das "Roundup Ready" Saatgut von Monsanto/Bayer, das mithilfe von Gentechnik resistent gegen das Totalherbizid Glyphosat gemacht wurde, nicht mehr marktfähig sein werde. Ist dies vielleicht der Grund, warum sich die Agrarlobby und die Politik so vehement gegen die vielen vorhandenen Studien gegen Glyphosat positionieren? Sie würden sich damit mit der stillen Zerstörung von Umwelt und Gesundheit gemein machen.

Der Agrartechniker betonte die unterschätzte Komplexität der Gene. So werde bei der Betrachtung von Genen oft vereinfacht davon ausgegangen, dass ein Gen nur eine gewünschte Funktion habe. Dies wäre jedoch falsch, Gene funktionierten netzwerkartig und nicht einzeln. So habe jedes Gen mehrere Funktionen und eine entsprechende Veränderung bringe demnach mehrere Auswirkungen hervor. Außerdem würden sich die Gene in der freien Natur, wo sie sich an die Umstände anpassen würden, anders verhalten als im geschützten Laborbetrieb.

Die Befürworter der grünen Gentechnik bei Pflanzen argumentieren maßgeblich mit den drei vermeintlichen Vorteilen: geringerer Pestizideinsatz, keine Resistenzen und Stillung des Welthungers. Nach jahrelangem Einsatz der Gentechnik in Brasilien wurde jedoch ersichtlich, dass diese vermeintlichen Vorteile in der Praxis nicht eintreten. So entwickelten sich Resistenzen und der Einsatz des Totalherbizids Glyphosat hätte sich in Brasilien verdreifacht. Auch die Stillung des Welthungers können man durch die Steigerung des Sojaanbaus in Brasilien, der hauptsächlich als Tierfutter diene, nicht erreichen, betonte Professor Andrioli. Der Hunger, der maßgeblich auf dem Land herrsche, wäre seiner Meinung nach nur durch kleinbäuerliche Strukturen und Vielfalt zu lösen. Es wäre in Brasilien auch erkennbar, dass sich beim Einsatz der Gentechnik die "schlechteren", da ertragsschwächeren Sorten, durchsetzen würden. Andrioli berichtete von seinen Erfahrungen in Brasilien über die Auswirkungen des Totalherbizids auf die Menschen. So gäbe es, seit der großflächigen Anwendung der Pflanzenkiller, eine Zunahme von früher eher selten aufgetretenen Erkrankungen. Fehlgeburten und Missbildungen bei Kindern hätten stark zugenommen. Der Wissenschaftler betonte, dass es wichtig sei, aus diesen Erfahrungen zu lernen und in Europa nicht die gleichen Fehler zu begehen und damit die gleichen schwerwiegenden Folgen für Natur und Menschen zu riskieren.

Wenn man gentechnisch veränderte Sorten erst einmal in die Umwelt freisetze, so könne man die dann zwangsläufig auftretende Kontamination, das heißt gentechnische Verunreinigung, der Umgebung, vermutlich nicht mehr rückgängig machen, warnte der Professor. Entgegen der weitläufig propagierten Meinung, die neue Gentechnik "CRISPR/Cas-Methode" sei keine Gentechnik, betonte der Agrartechniker, dass diese neue Technologie natürlich auch Gentechnik wäre, dabei würden die Gene lediglich gezielter verändert.

Im zweiten Teil des Vortrags ging Professor Andrioli auf das in Abstimmung befindliche Freihandelsabkommen EU-Mercosur ein. Darin wird versucht die Gentechnik positiv darzustellen und über das Schlagwort "Nachhaltigkeit" und den Schutz des Regenwaldes zu bewerben. Dieser Schutz sei jedoch ein reines Lippenbekenntnis, denn Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der Vorgaben seien schlicht nicht vorgesehen. Das Abkommen sei auch nach wie vor nicht vollständig veröffentlicht und so könne dies aktuell schlicht nicht abschließend beurteilt werden. Bei Abschluss des Freihandelsabkommens würden laut Andrioli folgende Auswirkungen befürchtet:

  • Reduktion der Zölle auf Autos und Autoteile würde zu einer Deindustrialisierung mit befürchtetem Verlust von 180.000 Arbeitsplätzen alleine in Buenos Aires führen.
  • Steigerung des Rindfleisch-Exports von Brasilien in die EU würde erneut zu einer Reduktion des Regenwaldes führen, da dann natürlich die Ackerfläche weiter ausgeweitet werden müsse.
  • Die Welt bräuchte jedoch nicht noch mehr kapitalistischen Freihandel. Sonst würde nur nach Kostenvorteilen gekauft, darunter würde der Umweltschutz, die Arbeitsrechte, soziale Standards als Ideologien negativ bewertet und damit soziale Ungleichheit zunehmen. All dies während Naturschutz und Artenvielfalt weiter leiden würden.
  • Produktion von "Bio-Ethanol" wäre dabei noch schlimmer als der Sojaanbau. Dabei wären Kinderarbeit, weitere Waldrodung wie auch mehr Pestizide die Hauptkritikpunkte.
  • Nur wenige Akteure wie die westliche Industrie-, Agrar- und Chemiebranche profitieren auf Kosten von Natur, Kleinbauern und Verbraucher.
  • Schäden müssten von der Gemeinschaft getragen werden, während die Profite nur ein paar Wenige kassieren würden.

Bei der anschließenden Fragerunde wurde unter anderem diskutiert, wie es sein kann, dass die "Wissenschaft" umstrittene technokratische Ansätze favorisiert und einfach umsetzbare Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensgrundlagen verweigert. Cui bono – wem nützt es? Eine Fragestellerin wunderte sich darüber, warum sich nun alle mit einem mRNA- "Impfstoff" impfen ließen, aber in Nahrungsmitteln keine Gentechnik haben wollen. Neuste Forschungsergebnisse schließen eine DNA-Veränderung bei "Geimpften" durch die Corona "Impfung" nicht mehr aus.

Am Ende des Vortrags ergänzte der regional bekannte Künstler Eloas Min Barden diesen um den lokalen Bericht zur ersten gentechnikfreien Landschaft um Überlingen. Er hatte damals die Initiative des ehemaligen Projektbüros Agravivendi für Bildungsprojekte und Informationsmaßnahmen zum Thema internationale Agrarkultur unterstützt, die mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), dem Badisch-Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) und der Stadt Überlingen zusammenarbeitete. So holte dieses Bündnis die freiwillige Erklärung von 100% der Bauern, damals 70 landwirtschaftliche Betriebe in Überlingen, Owingen und Sipplingen, die Bodenseeregion von gentechnisch veränderten Organismen freizuhalten und kein gentechnisch verändertes Saatgut auszusäen. Neben den Landwirten waren auch die Lebensmittelverarbeiter, wie Metzger, Köche, Gastronomen und Hoteliers mit dabei. Passend dazu komponierte Eloas Min Barden damals "Das Bauernlied", das er am Ende seiner Rede dann auch kurz zum Besten gab.

Den gesamten Vortrag können Sie, liebe stattzeitungs-Leser, auf dem Odysee-Kanal des Aktivisten Nico DaVinci ansehen. Nico DaVinci betreibt die bisher größte europäische Datenerfassung zur Glyphosatbelastung im menschlichen Urin.

Prof. Dr. Antonio Andrioli
Professor für Agrarökologie Antonio Andrioli wurde 1974 in Campina des Missoes (Brasilien) als Sohn eines Sojabauern mit bayerischen und Südtiroler Wurzeln geboren. Nach seiner Berufsausbildung als Agrartechniker studierte er Philosophie, Psychologie und Soziologie. Mit Unterstützung durch ein Stipendium von "Brot für die Welt" promovierte er in Osnabrück zu Auswirkungen von Gensoja auf die Landwirtschaft in seiner Heimat. Nach seiner Habilitation in Linz kehrte er nach Brasilien zurück, um auf Berufung der brasilianischen Regierung 2009 in der Gründungskommission der neuen staatlichen Universität Universidade Federal da Fronteira Sul mit dem Schwerpunkt auf nachhaltiger Landwirtschaft und Agrarökologie tätig zu sein. Der BUND Naturschutz zeichnete im Januar 2020 seine Bemühungen für eine gentechnikfreie Landwirtschaft und den Schutz von Kleinbauern mit dem bayrischen Naturschutzpreis aus. Im gleichen Jahr erschien sein Buch "Brasilien zwischen Hoffnung und Illusion. Kritische Blicke auf ein Land in der (Öko-)Krise" im oekom Verlag.

Freihandelsabkommen EU-Mercosur
Seit 1999 und damit seit über 20 Jahren verhandelt die EU mit den südamerikanischen Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay das Freihandelsabkommen EU-Mercosur. Die EU-Kommission drängt nun auf eine Abschluss der Verhandlungen bis Ende 2023. Da der Widerstand gegen dieses Abkommen allerdings recht groß ist, soll dies durch eine entsprechend positive Darstellung mittels einer inhaltlich schwachen und juristisch kaum durchsetzbaren Zusatzerklärung überwunden werden (siehe juristisches Gutachten vom Umweltinstitut München beauftragt).
Es gibt etliche Kritikpunkte an dem aktuell vorliegenden Entwurf des Handelsabkommens mit der Befürchtung von vielen Gefährdungen der Menschenrechte, der Umwelt und der Märkte auf beiden Seiten.



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