Wut im Bauch statt Würstchen. Service-Wüste Deutschland.

von Stef Manzini (Kommentare: 1)

Meinung

Wann haben Sie das letzte Mal gekocht? Nein, nicht zu Hause, sondern vor Wut über die Zumutungen der Gastronomie?
Sommer 2023 in Deutschland. Die ehemals famose Pizza im Hinterland, nur noch ein fader Lappen, lieblos belegt mit fünf Oliven und drei Sardellen. "Napoli" nennt sich das "Ding" und famos ist nur noch der Preis, denn der hat sich natürlich erhöht. Eine Dreiviertelstunde Warten auf ein Getränk, Normalität auf der Terrasse einer Gastronomie in einer gepflegten Anlage. Was viel schneller kommt als ein Bier ist die langwierige Erklärung: "Zu viel los- zu wenig Personal." Ja, wo sind sie denn alle geblieben? Vor "Corona" waren sie doch noch da. Manche Gastwirtschaft hat vermutlich so viel "Corona-Stütze" erhalten, dass es nun ausreicht wenige Tage in der Woche zu öffnen. "Küche bis 21 Uhr" steht auf dem Schild, doch wer eine Stunde früher um 20 Uhr kommt hat schon Pech. "Wir haben die Küche schon geputzt, es gibt nichts mehr zu essen", erklärt die Wirtin. Das leckere Hähnchen gibt es heute also nicht, ein zweites Mal werden wir nicht wieder kommen. Ein Eiskaffee wird zum Luxusgut, 7,50 Euro, ein stolzer Preis für kalten Kaffee, eine Kugel Eis und etwas Sahne. Also doch lieber die Kugel im Hörnchen in die Hand zu 1,80 Euro- wenn man Glück hat, ist sie wenigstens groß.

Was also ist eigentlich der Hauptgrund für die Misere in der Service-Wüste Deutschland? Oder sind es hier die Gastronomen selbst, die zwar kräftig die Preise erhöht haben, ihren Mitarbeitern die Gehälter jedoch nicht, und den Benefit des Trinkgelds schon gleich gar nicht geben?

Dass es funktionieren kann, mit ausreichend Personal und fairen Preisen, zeigt in Überlingen das "Allegretto" in der Greth, jedenfalls meistens. "Mittagstisch" für unter 10 Euro ist für viele, die nicht nach Hause kommen zum Essen ein gutes Angebot. Sollte Pino Arena seinen Kollegen einmal Nachhilfestunden geben? Zum Glück gibt es auch noch weitere Lokalitäten, wo Preis und Leistung stimmen, und man gratis dazu noch ein freundliches Wort vom Gastwirt oder der Kellnerin erhält. Hut ab, vor diesen Betrieben und Hut ab, vor dem kompetenten und freundlichen Personal.

Unmut macht sich im Ländle breit, muffige Angestellte, die sich auch schon einmal im Ton vergreifen und wirklich teilweise unverschämte Preise machen einen Restaurant-Besuch oder einen Einkauf in heimischen Gefilden oft zu einem unerfreulichen Erlebnis. "Think global, buy local", muss auch einen echten Abreiz bieten zum Internet-Konsum. Wohl gesagt muss an dieser Stelle jedoch auch werden, dass der Kunde nur König ist, sofern er sich auch wie ein König benimmt- und nicht wie ein frecher Prolet.

Bild: Stef Manzini

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Dem Fass den Boden aus schlug aber an letzten Montagvormittag die Mitarbeiterin im "Service-Punkt" der Deutschen Bahn am Überlinger ZOB. Nach knapp vierzig Minuten geduldigen Wartens auf das Ende einer einzigen Beratung des einzigen Kunden, der vor ihr war, wagte eine Kundin die bescheidene Frage, ob es denn noch lange dauern würde. Die Reaktion kam prompt mit der frechen Bemerkung, man solle sich gefälligst jetzt nicht vordrängen. Es mischten sich mittlerweile ebenfalls sehr lange wartende Kunden ein, die mittlerweile die "Bahnauskunft" betreten hatten- und da entgleiste die Service-Mitarbeiterin der DB vollkommen. Nach dem Motto "Kunden müssen draußen bleiben", warf sie, einem hysterischen Anfall nahe, alle Anwesenden einfach aus dem Service-Punkt, sagte sie arbeite heute nicht mehr weiter- und rief dann ob der Unwilligkeit der Kunden ihren Befehl zu befolgen doch gleich noch die Polizei. Die Kundin, die so lange gewartet hatte, nun an der Reihe gewesen wäre, und um ihr Ticket bat, wurde mit dem Hinweis belehrt "Ihnen verkaufe ich gar kein Ticket, gehen Sie doch nach Friedrichshafen“.

Wenn man die teure Bahnwerbung mit Beteuerung zu entspanntem Reisen kennt, kriegt man beim Ticketkauf schon beinahe einen Herzinfarkt.  Bemerkenswert die Lage, in der die DB ihr offensichtlich nicht gerade stressfestes Personal durch die Unterbesetzung bringt. Bemerkenswert die Selbstverständlichkeit, mit der die stressgeplagte Fehlbesetzung Bahnkunden maßregelt, ohne jede Konsequenz ihres Arbeitgebers zu befürchten.

Wenig bemerkenswert, dass sich sogleich zwei später dazu gekommene Kundinnen bemüßigt fühlten, Partei zu ergreifen und sich einzumischen. Am bemerkenswertesten jedoch ist die Tatsache, dass die Polizei später wirklich an den Tatort kam. Wir dachten immer, man rufe die Ordnungshüter bei einem drohenden Messerangriff, nicht aber um Bürger aus einem Service-Punkt zu entfernen. Einen Ersatz für die vermutlich krankgeschriebene Mitarbeiterin gab es natürlich nicht. Der Service-Punkt blieb auch am Nachmittag und an den Folgetagen für Bahnkunden geschlossen, das hatte die "Servicekraft" den Bahnkunden bereits versprochen. Die Bezeichnung "Service-Punkt" der Deutschen Bahn sei an dieser Stelle ersetzt durch "Zumutung der Deutschen Bahn". Ja, da hilft kein 49-Euro-Ticket, wenn die Behandlung schlicht saumäßig ist.

An dieser Stelle sei aber nicht vergessen, ein ganz herzliches Dankeschön, an alle Menschen, die im Service arbeiten auszusprechen, die ihren Beruf als Berufung sehen, oder einfach nur gut machen, und die schon den Kauf einer Spülbürste zu einem freundlichen Erlebnis gestalten- was im zentralen Überlinger-Drogeriemarkt allerdings meist spätestens bei den unfreundlichen Kassiererinnen endet.

Wo sind sie also alle hin, die Servicekräfte? Brauchen die Menschen, die vor "Corona" noch in dem Bereich tätig waren, diese Jobs nicht mehr? Sind es nicht, wie beispielsweise bei der Bahn, sichere Arbeitsplätze mit Tariflohn, die einfach nicht mehr gefragt sind- und warum? Ein Land wird ausschließlich mit lauter Häuptlingen statt Indianern nicht am Laufen zu halten sein- und nicht jeder ist berufen zu einem IT-Manager. Könnte man unattraktive Arbeitszeiten, zum Beispiel in der Gastronomie, nicht gerade durch mehr Mitarbeiter wesentlich besser gestalten? Viele junge Menschen scheinen wortwörtlich "Null Bock" zu haben auf Stress, denn "chillig" ist es wirklich nicht acht Stunden auf den Beinen zu sein, und andere Menschen zu bedienen. Wie finanzieren sie aber ihr Leben, dem ein Broterwerb, auch wenn er nicht nur lustig ist, gänzlich fehlt? Im Handwerk sind massig Stellen frei, das hat goldenen Boden, wen interessiert's? Ach ja, da wäre noch ein Tipp für alle Berufs- und Studienabbrecher: Probiert's mal im Deutschen Bundestag. Lockere Arbeitszeiten und dabei Status und beste Bezahlung. Na, wär das was?

Haben Sie, liebe stattzeitungs-Leser auch Erfahrungen gemacht mit wirklich "hanebüchenen" Erlebnissen in der Service-Wüste Deutschland? Dann schreiben Sie uns einen Kommentar. Bitte schreiben Sie aber auch, wenn Sie etwas ganz besonders Schönes erlebt haben- und loben möchten.   



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Kommentare

Kommentar von Marita Reiff |

Lob:
Da Pino in Heiligenberg... super leckere italienische Küche, leider aber nun die Preise erhöht, super freundliche Betreiber. Allein das ist es wert. Allerdings mit der Preiserhöhung nun für eine Familie Luxus.

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