Wird Überlingen das neue Meersburg?

von Stef Manzini (Kommentare: 0)

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  • Vorschlagen: Überlinger Verwaltung schlägt neues Konzept zur Verkehrsberuhigung vor.
  • Alarm-schlagen: Überlinger Groß-Gastronom Pino Arena schlägt Umsatz-Alarm.
  • Befürchten: Überlinger Einzelhändler befürchten sinkende Umsätze.
  • Versprechen: Überlinger Stadtrat Dreiseitl verspricht eine lebenswertere Stadt.
  • Einsteigen: Überlinger stattzeitung.org steigt ein in die Verkehrs-Debatte.

Meersburg ist zwar nur halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago- aber dafür doppelt so tot. Dieser geflügelte Spruch meint Überlingens Nachbarstadt im Osten im Winter. Überlingen wird "Meersburgisiert", sagt dazu jetzt Pino Arena einer der größten Gastronomen am See, der in Überlingen das "Allegretto", das "Arena", und das "La Vita" betreibt. Er meint damit, die angekündigten Maßnahmen der Stadtverwaltung weitere Schritte hin zur Verkehrsberuhigung der Innenstadt zu unternehmen. Das neue Konzept ist von der Verwaltung vorgestellt und vom Gemeinderat zur Kenntnis genommen worden (vorläufiger Plan ist im Schaubild und Infokasten erklärt). Es sieht unter anderem vor, das die Durchfahrt der Jakob-Kessenringstraße durch einen Poller vor der Klosterstraße gestoppt wird, oder das man nur noch über die "Olber-Brücke" beim Weinhaus Renker Richtung Münsterplatz fahren kann. Arena, Inhaber einer Pizzeria und eines Feinschmeckerlokals in der "Greth" erzählt, dass in seinem Meersburger Lokal an einem Sonntag bereits jetzt mehr Umsatz gemacht würde als in Überlingen, und nennt als Grund dafür das Parkhaus in unmittelbarer Nähe des Eiscafés. Der Gastronom ist sauer. Beglückt dagegen ist Stadtrat Herbert Dreiseitl (B´90- die Grünen), wenn er sich ein autofreies Überlingen als ein neues großes Wohnzimmer für alle vorstellt.

Krawall ist vorprogrammiert, denn weite Teile des Einzelhandels und der Gastronomie betrachten die von der Stadt geplante "Ruhige Stadt" als kontraproduktiv für ihre Unternehmen. Seit 20 Jahren hält Arena seine Lokale in der "Greth" täglich geöffnet- und schließt jetzt im kommenden Januar zum ersten Mal das "Allegretto" für 3 Wochen. Der Grund ist zwar eine Renovierung, aber Pino Arena sagt: "Wenn die Stadt ein reiner Saisonbetrieb werden soll, dann mache ich mit, und überlege mir in dieser Zeit auch, wie es überhaupt weitergehen soll, möglicherweise mache ich ab 2023 auch eine monatelange Winterpause, dass ist absolut kein Problem für mich." Das ist insofern sehr spannend, denn Arena, der am See entlang 13 Lokale betreibt, ist eine Art Seismograph für gastronomische Aktivitäten. Macht er es vor ziehen andere nach, kann vermutet werden. Viele Lokale entlang der Seepromenade und die Eiscafés der Altstadt haben ohnehin eine Winterpause, meist von Ende Oktober bis März. Dann kommen sie wieder: Die Gäste aus dem Großraum Stuttgart, Böblingen, Sindelfingen, ganz Ulm ist am See, und natürlich Biberach und Balingen, und dazu kommen die Feriengäste die von weit her anreisen, zusätzlich zu den Tagesausflüglern. Überlingen wird überschwemmt mit Menschen, aber auch mit Autos. Doch was macht die "Überlingerin" und der "Überlinger" im Winter? Aktuell können die "Buchinger-Gäste" zusammen mit den Einheimischen bei Sonnenschein auch im Winter ihren Cappuccino direkt am See im Allegretto genießen, wie lange noch? Arena ist sich sicher: "Wenn das hier alles Anlieger-Straßen werden ist es aus, schon jetzt fahren viel weniger Leute durch die Stadt, sie verweilen dann auch nicht mehr kaufen was oder holen etwas ab, und Motorradfahrer kommen auch nicht mehr auf einen Kaffee vorbei."

Ganz anders sieht das Gemeinderat Herbert Dreiseitl, er sitzt für die Fraktion B´90- die Grünen am Überlinger Ratstisch und ist Anwohner der Hofstatt. "Überlingen verkehrsberuhigt zu machen entlastet gerade in den intensiven Sommermonaten die Innenstadt von dem starken Durchgangsverkehr. Das ist das langfristige Ziel, der seit 1975 laufenden Debatte, und sie wird wohl auch noch weiter gehen. Ich erinnere mich noch an die damalige Debatte um die Hofstatt, die früher einmal ein Parkplatz war. Obwohl wir ein Kurort sind, haben wir eine derartig schlechte Luftqualität durch den Verkehr."

Pino Arena ist sich hingegen sicher, Überlingen ist zu klein für weitreichende Maßnahmen den Verkehr komplett aus der Innenstadt zu verbannen. Der Gastronom hält seine 40 Mitarbeiter in der "Greth" bisher auch über die Wintermonate beschäftigt, und hat während der "Corona-Lock-Downs" niemanden entlassen. Aus den kurz parkenden Autos stiegen ganze Familien aus, und kämen als Gäste ins Lokal oder kauften ein, sagt Arena. "Natürlich weiß ich; was Anliegerstraße bedeutet, nämlich ein Anliegen zu haben, aber das kapieren die Leute doch gar nicht- und fahren einfach nicht mehr in die Stadt rein", erklärt der Groß-Gastronom. Pino Arena erhält Unterstützung von Einzelhändlern, die seine Befürchtungen teilen. stattzeitung.org fragte bei Achim Kalmbach, der drei Modegeschäfte in Überlingen betreibt, davon eines ebenfalls in der "Greth". Der Geschäftsinhaber pflichtet Arena bei und ist sich sicher, auf den Einzelhandel in Überlingen wirkten sich weitere Verkehrsberuhigungen negativ aus. Dieser Meinung schließen sich weitere Befragte an. Für Sabine Müller von "Style and More" und "Shoes and More" in der Christophstraße ist eines ganz klar: "Der angebliche Gewinn für die Stadt ist ein Verlust für uns alle hier."

Daniel Frauenfelder vom "Sporthaus Schmidt" in der Münsterstraße wird auf kurz oder lang das Ski-Geschäft in seine Filiale im "La Piazza" auslagern, und Janine Bosch von "Benetton" wirft der Stadt vor immer den zweiten Schritt vor dem Ersten zu machen. Heike Stocker, Geschäftsführerin der "Parfümerie Gradmann" in der Münsterstraße, gibt zu bedenken: "Bei einer Parfümerie denkt man erstmal an kleine Dinge wie Parfüm oder Kosmetika, aber wir haben einen guten Teil der Kundinnen, die bei uns einkaufen, während ihre Gatten oben am Münsterplatz in ihren Autos auf sie warten." Die Hemmschwelle künftig über die "Olberbrücke" beim Weinhaus Renker zu fahren, dürfte für diese Klientel ungleich höher sein als durch die Pfarrhofstraße zum Münsterplatz zu kommen. Dies scheint auch durchaus beabsichtigt. Das künftig die kostenlose Kurzparkzeit in den Parkhäusern entfällt, so von der "Stadtwerke Überlingen GmbH" (SWÜ) gerade angekündigt dürfte Heike Stocker und ihr freundliches Team von der "Parfümerie Gradmann" weiter beunruhigen. Die gefragten Einzelhändler sind sich mit Arena einig, ein "Runder Tisch" müsse her, denn ihre Interessen wären im Stadtrat praktisch nicht vertreten. Das klingt seltsam, denn laut Hinweis von Stadtrat Herbert Dreiseitl dringe der WVÜ (Wirtschaftsverbund Überlingen) vertreten durch seinen Vorsitzenden Reinhard Haase regelrecht auf die Umsetzung der Verkehrsberuhigung. Wer holt noch die Brötchen in der "Greth", wenn er glaubt er kann da nicht mehr anhalten, fragt Pino Arena, und spricht von einer massiven Verunsicherung bereits jetzt, was die Verkehrssituation in der Stadt beträfe. Wenn die Verkehrsführung zu unübersichtlich und kompliziert sei, dann bliebe man einfach weg, dies wäre die Meinung vieler Menschen aus dem Umland, und Überlingen spüre das schon jetzt konkret denn die Stadt sei leer, so sagt der gastronomische Großunternehmer. Dem, pflichtet auch Anka Kaim von "La Vogue" in der Christophstrasse bei, und nennt das neue Konzept schlicht furchtbar.

"Überall wo die Autos rausgenommen werden wird die Innenstadt zum Wohnzimmer der Bevölkerung", ist sich hingegen der Landschaftsarchitekt und Städteplaner Herbert Dreiseitl sicher. Der Mann, der überwiegend auf internationalem Terrain zum Beispiel in Singapur als Gastprofessor tätig ist, organisiert seinen Lebens- und Arbeitsalltag seit Jahren ohne eigenen PKW, mit "Car-Sharing", Bahn und Flugzeug. Herbert Dreiseitl hat wenig Verständnis für Menschen, die ihr Leben immer noch nach dem Auto ausrichten, erklärt er im Gespräch mit stattzeitung.org. Seiner Gesamtsicht nach wäre es im Moment jedoch noch nicht praktikabel das Auto ganz aus Überlingen zu verbannen, auf lange Frist gesehen jedoch schon. Herbert Dreiseitl von den "Grünen" der im ABTV, also im Ausschuss für Technik und Verkehr sitzt, möchte die Innenstadt mit Qualität und Lebenswertigkeit stärken, und die hängt seiner Meinung nach nicht davon ab, dass man mit dem Auto reinfahren kann. Handel und Gastronomie werden gewinnen, ist sich der Städteplaner ganz sicher, und nennt als Beispiele die großen Fußgängerzonen in Ravensburg, Konstanz und Ulm. Die Abwanderung und das Ausbluten einer Stadt hingen laut Dreiseitl nicht vom Durchgangsverkehr ab, sondern vom Internet und den Einkaufszentren auf der grünen Wiese. "Insgesamt geht es uns bei dem neuen Verkehrskonzept für Überlingen nicht um eine Vollsperrung sondern um eine schrittweise Reduzierung des sinnlosen Durchgangsverkehrs und um eine Gleichberechtigung und damit Stärkung der Fußgänger und Fahrradfahrer in der Altstadt.
Natürlich bestünde noch Luft nach oben, wie eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit für P+R (Park and Ride Parkplatz mit Busanbindung, zum Beispiel am Krankenhaus), oder den ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr), räumt der Städteplaner ein.

Dem wiederspricht vehement Pino Arena und sagt die Einwohnerzahlen der Städte bei den von Herbert Dreiseitl genannten Beispielen lägen alle weit über 50.000 und wären damit überhaupt nicht mit Überlingen vergleichbar. Es ist also "Dampf im Kessel", nichts Neues wenn es um Überlingens-Verkehr geht, über den sich schon Generationen den Kopf zerbrachen, und es vermutlich auch noch weiterhin tun werden.

Bild: Stadt Überlingen
Dies sind die wichtigsten vorgesehenen Neuerungen im Konzept der Stadt (Stand: Dezember 2022), die uns der Überlinger Stadtrat Herbert Dreiseitl freundlicherweise zusammengefasst und erklärt hat:

1. Vom Westen wird die Einfahrt nur zu den Parkhäusern und bis zum Wendekreis am Brunnen ermöglicht. Poller vor der Klosterstraße ist ab 11:00 Uhr oben, vorher kann Liefer- und Abholverkehr einfahren.
2. Umgestaltung der Jakob-Kessenring-Straße ohne Bordsteine voraussichtlich mit Pflasterbelag, wie bereits jetzt in der Hafenstraße. Geplant ist auch die Begrünung durch vorhandene und neue Baumstandorte und wenn möglich Fassadenbegrünung. Umsetzung erfolgt bereits ab 2023.
3. Zum Konzept kam von der dafür eingerichteten AG (Arbeitsgemeinschaft) in der auch der WVÜ (Wirtschaftsverband Überlingen) vertreten ist (Herr Haas) einstimmige Zustimmung. Gerade die zeitnahe Umsetzung (2022/2023) wurde mit Nachdruck gefordert.
4. Die Pfarrhofstraße (Einfahrt bisher beim Modehaus Munding) ist ganz zu, der Lieferverkehr darf bis 11 Uhr einfahren. Der Verkehr von der Wiestorstraße fährt über die Brücke beim Renker (Olberbrücke) rein, die Krummebergstraße entlang und dann über die Lindenstraße und Gradebergstraße wieder raus.
5. Das Gesamt-Verkehrskonzept, wurde von den Fraktionen in den letzten Jahren mit dem WVÜ abgestimmt. Das Wort "Sperrung" ist nicht zutreffend.

Altstadt: Kunden kommen bei Bedarf an jedes Geschäft, aber es gibt keine Durchfahrt, das heißt, keine Straße wird grundsätzlich gesperrt, aber es ist auch keine Durchfahrt durch die Altstadt (oben rein, unten raus oder umgekehrt) möglich.

Ziel: Die gesamte Altstadt wird in Richtung "verkehrsberuhigter Bereich" weiterentwickelt. Also keine Bordsteine, Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer, reduzierte Geschwindigkeit für alle, Wegfall der meisten Verkehrsschilder.


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