Willkommen im TIER-Park Überlingen

von Redaktionsteam (Kommentare: 1)

Cornelia Morche und Stef Manzini

  • Des einen Freud des anderen Leid, TIERE in Überlingen.
  • Neue E-Mobilität startet mit 300 Zweirädern.
  • Stattzeitung.org fuhr Probe auf einem Roller.
  • Kein billiges Vergnügen, aber viel Fahrspaß.
  • Warum 300 Fahrzeuge beantworten Stadt und TIER konträr.

Überlingen startet eine Offensive der E-Mobilität. Angesprochen werden sollen damit alle, die Wege umweltschonend zurücklegen wollen, erklärt die Stadtverwaltung auf die Frage nach der Zielgruppe für sage und schreibe 250 E-Roller und 50 E-Bikes. TIER, ist der fette schwarze Name auf den knall-grünen Fahrzeugen, die überall im Stadtgebiet herumstehen- und auch schon mal herumliegen. Alle, ist jedoch ein etwas weitgefasster Begriff für die tatsächlichen Zielpersonen. Voraussetzungen für die umweltschonende Fahrt sind das Mindestalter von 18 Jahren, die Bereitschaft Geld auszugeben, BesitzerIn eines Smartphones und einer Kreditkarte zu sein beziehungsweise PayPal-Funktion auf dem Handy zu haben und in einer guten körperlichen Verfassung zu sein. Das schränkt die Zielgruppe doch erheblich ein, und ist vielleicht auch der Grund dafür, dass man vor allem junge Menschen- auch mal zu zweit oder zu dritt- auf den Scootern durch die Stadt flitzen sieht. Dieser Zielgruppe macht das TIER einen großen Spaß, nicht immer ungefährlich ist das hohe Tempo auf Überlingens Gässchen. Die Fahrt aus der Altstadt hinaus ins Ostbad kann bei gewählter Pause-Taste während des Badevergnügens, und nur so ist eine Rückfahrt auf dem Gefährt gesichert, für zwei Personen schon einmal mit 20 Euro zu Buche schlagen. Mit dem Taxi ist das nicht teurer. Die Frage wie denn nur die Anzahl von insgesamt 300 Fahrzeugen für Überlingen zustande gekommen ist, schiebt die Stadt dem Anbieter zu, hatte also laut eigener Aussage dabei gar kein Mitspracherecht und verlässt sich auf die Erfahrungswerte von TIER bezogen auf andere Städte. TIER selbst danach gefragt, antwortet hingegen, dass die Berechnung der Flotte in enger Abstimmung mit der Stadtverwaltung erfolgt sei. Der Gemeinderatsausschuss-Verkehr hatte das Projekt seinerzeit einstimmig befürwortet, Zuschüsse von der Stadt gibt es keine. Der Anbieter soll laut Stadt für das Einsammeln und Aufladen der Fahrzeuge verantwortlich sein. Da es bei diesem Projekt keine festen Stationen und wenig Informationen vor Ort gibt, bleibt einem etwas weniger technik-affinen Bürger oder Besucher der Stadt noch der Weg zum Fahrradladen auf der Hofstatt. Dort werden auch am Sonntag Fahrräder vermietet, man braucht keine App herunterzuladen, wird eingewiesen, beraten und bezahlt auf konventionellem Weg.

Merkwürdig ist es schon, dass beim Test der stattzeitung.org die Mitarbeiter in der Touristinformation wenig bis gar nichts zur neuen E-Mobilität Überlingens sagen konnten. Ein echtes Manko, denn hier würden sich doch Touristen vermutlich nach der neuen umweltschonenden Möglichkeit Überlingen zu erkunden melden.

Viele Informationen gibt es dann direkt bei TIER für jeden Interessenten und auch auf unsere Presseanfragen hin. Wurde doch ein ganzes Bündel an Fragen wie beispielsweise die Frage ob man alkoholisiert fahren darf, oder eine andere nach Haftung bei Schaden und Unfall von der Stadt direkt weiter an TIER verwiesen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Überlingen „fremdelt“ noch mit den neuen gift-grünen Objekten, die nicht nur auf Zuspruch in der Bevölkerung stoßen. „Sie stehen überall im Weg“ schimpfte ein älterer Herr, der sich tatsächlich den Weg zu seinen Mülltonnen erstmal freikämpfen musste. Auch auf Gehwegen blockiert das TIER zuweilen die uneingeschränkte Fortbewegung besonders von Rollstuhlfahrern, Kinderwägen und dergleichen. Eine zukünftige Aufgabe für das Ordnungsamt? Man kann nur spekulieren. Lokale Einsatzteams sorgen für Verteilung und Wartung der Fahrzeuge und parken die TIERE zeitnah um, die nicht ordnungsgemäß abgestellt worden sind, sagt dazu die Presseabteilung der Firma TIER auf Anfrage. Allerdings, so der Anbieter weiter, muss dazu eine Servicenummer angerufen werden, die sich auf den Rollern und Fahrrädern befände. Bei einem Fehlverhalten im Straßenverkehr durch den Nutzer würde der Anbieter Bußgelder auch an diesen weitergeben, anders ist das bei einem Unfall. Hier wäre der Nutzer durch TIER umfassend versichert, erklärt auskunftsfreundlich Patrick Grundmann, der Pressesprecher von DACH/TIER Mobility der 2018 gegründeten Firma mit Sitz in Berlin. Bislang sei auch keines der mit GPS-System ausgestatteten Fahrzeuge abhandengekommen, so zumindest die Erfahrung aus Lindau, berichtet TIER. Pendler können auf spezielle Vielfahrer-Pässe zurückgreifen, Reservierungen von Fahrzeugen sind nur bis maximal 10 Minuten vor Fahrtantritt möglich. Alkoholisiertes Fahren ist verboten, die E-Bikes dürfen auf Radwegen, die Roller nur auf Straße gefahren werden.

Wie die Fahrt auf dem E-Scooter nun war, nach anmelden, einloggen, App laden und so weiter, lesen sie in einer Reportage der s!!z-Autorin Cornelia Morche, deren Selbstversuch die stattzeitung.org etwas über acht Euro wert war. Der Umweltaspekt, der neben allem Fahrspaß für die junge Generation den eigentlichen Ausschlag für die Entscheidung zur E-Zweirad-Flotte gab und von Stadt wie von TIER überaus kräftig präsentiert wird, trüben allerdings zwei gravierende Aspekte ein. Erstens, mit einem E-Scooter von Überlingen nach beispielsweise Bonndorf zu fahren wäre langwierig und gefährlich, heißt im Klartext, die Anschlussmobilität für einen Pendler zum Bahnhof ist auch durch die neue „tierische“ Mobilität nicht gegeben. Zweitens, dass Lithium-Batterien umweltfreundlich sind, ist ein Märchen.

Dennoch, sollten sie die überall präsenten grünen „Dinger“ stören, fahren sie doch einmal los! Es macht wirklich Spaß und mit 25 Cent pro Minute sind sie dabei, wie Cornelia Morche „Ü50“ lachend bestätigen kann. Geben sie der neuen Mobilität also eine echte Chance, als Schritt in die richtige Richtung. Wenn nun noch die Ertüchtigung des wenig optimalen Radwegenetzes für alle Radler, die zumindest temporäre Sperrung der Innenstadt und ein OB Zeitler, den man mehr auf dem Radl wie im neuen Dienstwagen der „blau-weißen“ aus Bayern sieht dazukommt, ja dann steht der Zukunftsstadt Überlingen in Sachen Mobilität nicht mehr ganz so viel im Wege. Wenn ihnen allerdings ein TIER im Wege steht, werfen sie es nicht gleich in den schönen Bodensee, sondern wählen die Servicenummer- und berichten uns von ihren Erfahrungen.


Erfahrungsbericht einer tierischen Fahrt

Spontan habe ich mich dazu entschlossen, mit so einem grünen TIER-Roller durch Überlingen zu kurven. Keine Ahnung, wie das geht. Also laufe ich ein paar Schritte zur „Kur und Touristik“ am Landungsplatz und frage nach. Leider weiß die Dame dort nichts darüber und einen Flyer gibt es auch nicht. Doch ich habe Glück, denn es kommt ihre Kollegin, die mit halbem Ohr mitgehört hat, zu mir und sagt: „Ich kann Ihnen das erklären, ich bin vorhin auch mit so einem Roller gefahren. Das ist ganz prima, schauen Sie hier“, und Sie zeigte mir eine App auf ihrem Handy. „Die brauchen Sie, und dann finden Sie den nächsten Roller. Dann müssen Sie den QR-Code einscannen, und dann können Sie fahren, ist alles ganz einfach,“ erklärt sie mir freundlich.

Also gut, ich lade mir die TIER-App herunter, nun muss ich wählen wie ich bezahlen will, mit Kreditkarte oder PayPal. Ich wähle die Kreditkarte, gebe alle Daten ein, die Karte muss ich auch noch scannen, und trotzdem geht es nicht. Ha, so ein Frust, was mache ich falsch, frage ich mich? Zu Hause angekommen, probiere ich es noch einmal, mit Hilfe des Laptops, wie sonst beim online-Banking, und siehe da, nun klappt es.

Fehlt noch was? Ja, TIER möchte immer wissen, wo ich bin. Das heißt, ich muss den Standortzugriff gestatten, was ich äußerst ungern mache. Einen Roller ganz in meiner Nähe hatte ich mir schon ausgeguckt, und jetzt ist tatsächlich alles ganz einfach: Handy an, TIER öffnen, QR-Code scannen, der Roller geht an, und ich kann wunderbar durch Überlingens Straßen fahren. Rauf und runter, kurze Wege, nah an der Natur, herrlich. Bis 20 km/h fährt der Roller, Gas gebe ich per Handhebel, Bremsen geht ebenso per Hand, auch Blinken kann ich. Manchmal ruckelt er kurz beim Beschleunigen gut, dass ich auch Radfahren gewohnt bin.

Bei Freunden halte ich kurz an, ich kann ja auf Pausieren drücken. Die Uhr läuft allerdings weiter, also bleibe ich nur kurz, und fahre schließlich wieder nach Hause. Ich parke den Roller am Straßenrand, einen Gehweg gibt es hier nicht. Wie ich kurz drauf aus dem Fenster schaue, sehe ich, wie sich schon der Nächste den Roller aussucht und mit ihm davonfährt. Auf meiner App steht er allerdings noch vor meinem Haus, und dass noch eine ganze Stunde lang. Erst dann ist er dort auch verschwunden.
Ich überlege, ob ich ihn öfters benützen werde. Ich schaue weiter in die App, und finde immer wieder neue Angebote. Willkommensangebote, bei denen es für eine begrenzte Zeit einen Rabatt fürs Freischalten gibt. Und es gibt auch ein ganzes Tagesticket und ein Monatsticket. Hier werden die Angaben aber etwas mühsam, da muss ich mich hinsetzen, ausrechnen und zusammenstellen. Ohne Rabatt hat mich eine halbe Stunde fahren 8,50€ gekostet, 1.-€ für das Aktivieren, und 0,25 Cent pro Minute. Egal ob ich fahre oder pausiere. Ein bisschen Luxus ist das schon….

Alle weiteren Informationen: www.tier.app



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Kommentare

Kommentar von Gerhard Fischer |

Eigentlich alles geschrieben, in diesem Artikel. Viel Positives konnte ich da auch nicht heraus lesen, außer einer motivierten Journalistin der Stattzeitung.
Bleiben die skeptischen Eindrücke:
- Teuer, zu teuer
- Fahrspass, aber mehr für junge Menschen
- Rollerfahren zu zweit, ist das überhaupt erlaubt?
- Das Stadtbild wird verschandelt, blockierte Gehwege z.B.
- Noch mehr Batterien, die geladen werden müssen (Ressourcenverschwendung)
- keine Verkehrsentlastung (darauf hofft doch die Stadtverwaltung)

Unterm Strich also ein Flopp. Wird die Stadtverwaltung da ein grünes Licht geben?

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