Flugzeugabsturz - Gedenken und Rangeleien

von Stef Manzini (Kommentare: 0)

  • Am 1. Juli 2002 stießen über Überlingen zwei Maschinen zusammen
  • 20 Jahre später gedachte die Stadt der Opfer
  • Kontroverse um Gedenkfeier
  • Augenzeugenbericht zum Absturz


Schon Wochen vor der Gedenkfeier für die Opfer der Flugzeug-Katastrophe von vor 20 Jahren wurde Unmut über die Art und Weise laut, wie Überlingen ihrer gedenkt. Beklagt wurde ein fehlendes gemeinsames Essen, bezahlt von der Stadtverwaltung - nun gab es Häppchen. Für die einen unmöglich, für die anderen absolut in Ordnung. Die Reihe der Kontroversen lässt sich lange fortführen. Ausdrücklich nicht ausführlich thematisiert wird hier die Rolle des „Brücke-nach-Ufa-Vereins“ und die Rolle der Stadt Überlingen. Ich bin sicher alle waren um Sensibilität bemüht. Das gemeinsame Gedenken hat stattgefunden. Viele der Gäste waren tief bewegt. Kann es so falsch nicht gewesen sein, denn worum geht´s? Um ein Gedenken an eine der schlimmsten Nächte hier am Bodensee, an ihre Opfer - und auch an das Glück der Menschen am Boden, die wie durch ein Wunder unbehelligt blieben.

Manche der Anwesenden, auch aus den Reihen des Gemeinderats, kritisierten das lange Lied des Barden über die Dramatik der Ereignisse der Absturz-Nacht als einen völlig deplatzierten Auftritt. Anderen Teilnehmern wiederum sprach er direkt aus dem Herzen. Der Barde Eloas Lachenmayr begrüßte dann auch den russischen Generalkonsul, der aus Frankfurt nach Brachenreuthe angereist war und den der Überlinger Oberbürgermeister Jan Zeitler nicht begrüßen wollte. Man wollte seitens der Gremien ganz bewusst kein falsches Zeichen setzen und den Fokus nicht auf die momentane politische Lage lenken, erklärte ein Gemeinderatsmitglied dazu. Diese Gründe sind entweder unmöglich oder nachvollziehbar, je nach Betrachter. Der Gruß des Barden unverfänglich. Es gehört sich, einen Gast zu begrüßen, sagt Eloas dazu, der sich die Bühne nahm und seinem Lied auch seine persönlichen Ansichten zum aktuellen Krieg anfügte- die nicht jedem gefallen haben. Einigen sehr. OB Zeitler war sichtlich „not amused“, so ein Beobachter der Szenerie. Wozu aber ein Fass aufmachen? Leid ist individuell, Menschen ticken verschieden, eine Gedenkfeier für eine Katastrophe dieses Ausmaßes verträgt ein breites Spektrum. Maßgeblich wichtig ist der respektvolle Umgang im Angesicht der Opfer, mit ihren Angehörigen und untereinander.

Dass Eloas Lachenmayr, so schildert es der Barde, nach seinem Auftritt von einem Polizeiwagen verfolgt wurde, die Beamten wollten Fahrzeugpapiere und Wohnsituation des Künstlers überprüfen, ist entweder Zufall oder hässliches Nachtreten derer, die sich durch den Sänger provoziert fühlten. Aber selbst das ist nur „Pipi-Beiwerk“ und sollte das Eigentliche nicht überschatten. Statt also weiter auf den Befindlichkeiten einzelner Akteure herumzureiten, kann man über den Sinn dieser Gedenkfeier nachdenken. Sollten sich die wenigen anwesenden Angehörigen, die die Visa-Problematik überwinden konnten, individuell in ihrem Leid gesehen fühlen, der Solidarität und des Mitgefühls sicher sein-und etwas an Trost mitgenommen haben, ist dem nichts hinzuzufügen. An dieser Stelle folgt ein persönlicher Augenzeugenbericht des Dramas, das uns heute noch bewegt.


Augenzeugenbericht zur Nacht des Unglücks

In der Nacht des 1. Juli 2002 dachten wir, eine Fabrik im Industriegebiet wäre explodiert, so laut war der Knall. Die ganze Nacht erfüllt vom Heulen der Sirenen. Freunde aus Berlin hörten Radio und brachten am Morgen die Nachricht vom Absturz, sie waren in Sorge. Das Unfassbare war geschehen, das, was sich niemand hätte vorstellen können. Zwei Flugzeuge stießen zusammen dort oben in 10.000 Meter Höhe. Feuerbälle rasten zu Boden, die Trümmer verteilt zwischen Brachenreuthe und Taisersdorf, die Insassen tot. Kinder, so viele Kinder.


Abfangjäger der Bundeswehr mit Infrarotsystemen flogen den ganzen folgenden Tag über den See und suchten dort nach Leichen, fanden keine. An diesem verhangenen Tag der Erstarrung sah man die Flugzeuge nicht, man hörte nur den Knall, wenn so eine Maschine wieder überflog. Die Menschen in den Straßen zuckten jedes Mal zusammen, wenn ein Flieger über sie hinwegdonnerte. Das war nach diesem Flugzeugabsturz ein unerträgliches, aber eben notwendiges Geschehen, geschuldet dem Trinkwasserspeicher Bodensee, mit tatsächlich traumatischen Folgen für Teile der Bevölkerung.

Meine Freundin Inge Dürrenberger vom Häuslerhof rief mich früh am Morgen an, ich verbrachte damals meine Tage auf dem Hof meiner Kindheit. Ich müsse schnell kommen und helfen. Inge und Rolf Dürrenberger waren Augenzeugen, nicht des Zusammenpralls, aber der unmittelbaren Geschehnisse. Der Hof liegt genau zwischen Brachenreuthe und Owingen. Inge, mittlerweile verstorben, erzählte mir damals: „Ich hatte Fernsehen geguckt, hörte diesen unfassbar lauten Knall und sah durch die Fenster im 1. Stock die Feuerbälle auf mich zurasen. Ich dachte im ersten Moment an einen Terroristen-Angriff oder einen Meteorit. An einen Zusammenprall von Flugzeugen dachte ich nicht“. Auf dem Weg über den Golfplatz sah ich einen Teil des Triebwerkes in fünf Meter Entfernung zur „Villa“, die hölzernen Fensterläden schwarz, das Haus und seine Bewohner unversehrt. Überall Einsatzkräfte, alles wirkte ziemlich unkoordiniert, dazwischen die „Gelbwesten“ der Scientologen aus Zürich und von überall her, die wollten auch helfen und Werbung für sich machen. Auf dem Gebiet der Hofstelle lagen tote Kinder, den Anblick vergesse ich nie, eingefrorene Körper, wie bestäubt mit silbriger Asche. So zart. So grausam. So friedlich. Diesen 49 Kindern, ihren Begleitern, den Piloten der DHL-Maschine und dem unglücklichen Mitarbeiter der Flugsicherung, dessen Fehler zu diesem Drama führte, gilt mein Gedenken. Jahrelang freigeschnitten im Wald die kleine liebevolle persönliche Gedenkstätte an einem Fundort. Püppchen und Kerzen. Emotionen kommen hoch bei diesen Bildern. Eindrucksvoll, aber auch sehr gefühlvoll die zerrissene Perlenkette an der Gedenkstätte.

Ekelhaft der Katastrophentourismus, der sofort auf dem Hof einsetzte. Ich erinnere einen Mercedes mit Böblinger Nummernschild, die hatten eine Videokamera dabei. Ich trat ihnen gegen die Autotür, um sie zu vertreiben. Ich entschuldige mich auch jetzt nicht bei denen. Das Drama um den Absturz der Tupolew-154M aus Baschkortostan und der DHL-Boing 797 aus Bahrain fand seine Fortsetzung mit dem Mord an dem Mitarbeiter der Skyguide in Zürich. Unterlassene Entschuldigungen seitens dieser Flugsicherung an die Hinterbliebenen hatten zu diesem Mord geführt. Ein Film über das folgenschwerste Flugzeugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik kann man im TV ansehen. So wie man Kriegsfilme anschauen kann. Aber für alle Menschen, die am späten Abend des 1. Juli 2002 dabei waren, ist das Teil ihres Lebens und wird es immer bleiben. Die Tragik und das Ausmaß dieser Katastrophe aufgrund menschlichen Versagens und das daraus entstandene Leid für alle Betroffenen, das so präsent ist an einem Gedenktag wie diesem, macht es mir auch nach 20 Jahren, aber gerade jetzt in diesen Tagen besonders schwer, an das absichtsvolle Leid in der Ukraine zu denken, dass Menschen dort mit Krieg über Menschen bringen. Ist es einfacher einen Liebsten durch tragischen Absturz, oder geplanten Abschuss zu verlieren? Ich weiß es nicht, was meinen Sie liebe LeserInnen?


Am 1. Juli 2002 waren ein Flugzeug der Bashkirian-Airline mit 69 Personen, davon 49 Kinder und eine DHL-Frachtmaschine mit 2 Piloten zusammengestoßen und bei dem Überlinger Teilort Brachenreuthe bzw. vor dem Owinger Teilort Taisersdorf abgestürzt.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Flugzeugkollision_von_%C3%9Cberlingen


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