Schon wieder ein Friedensappell!

von Stef Manzini (Kommentare: 3)

Bild: Stef Manzini
Krieg&Frieden
  • Thomas Mantel, Udo Daecke und Franz Arndt verfassten den „Überlinger Appell“.
  • „Alter weißer Mann“ erwies sich als Experte für Traumata und Ukraine.
  • Zweifacher Facharzt gehörte schon zu den Unterzeichnern des „Krefelder Appells 1980“.

Schon wieder ein Brief an den Bundeskanzler. Diesmal aus Überlingen. Die große Überschrift lautet: „Überlinger Appell“. In direktem Bezug zum „Krefelder Appell“ der Friedensaktivisten von 1980 reiht er sich ein in den schriftlichen Wunsch nach „Schweigen der Waffen“ und „Stopp dem Wettrüsten“ im sogenannten Ukraine-Krieg. Ein Appell der feministischen Frontfrau Deutschlands, Alice Schwarzer, fand unlängst 250 prominente Unterstützer, die ihren Brief an Scholz unterschrieben haben. Den „Überlinger Appell“ haben bisher nur einige wenige unterzeichnet. Bis 1983 wurden über vier Millionen Unterschriften für den „Krefelder Appell“ gesammelt, allerdings blieb er dennoch ergebnislos. Also ist das Überlinger Pendant auch wieder nur ein Ausdruck, sozusagen eine Äußerung eines Wunsches ohne Wirkung?

s!!z traf Thomas Mantel, der zusammen mit Udo Daecke und Franz Arndt diesen Appell verfasst hat, und konfrontierte ihn gleich zu Gesprächsbeginn mit einem Vorwurf: „Wieder ein wirkungsloser Appell mit Alibi-Funktion, den alte weiße Männer in ihren Studierzimmern entworfen haben?“ Wer Thomas Mantel kennt weiß, er reagiert besonnen, überrascht aber nicht verärgert, auch nicht auf „die alten weißen Männer“. Ja, ein erster Entwurf sei bereits vor Wochen auf dem Postweg ins Kanzleramt gelangt - nein, man habe keine Antwort erhalten - nein, man sei darüber nicht sehr verwundert, so Mantel sinngemäß. Also doch Alibi?

„Wir, freie Bürger der Bundesrepublik Deutschland, erwarten die sofortige Beendigung der Kriegshandlungen in der Ukraine und aller Kriege der Welt, die von verschiedenen Ländern neben Russland initiativ begonnen wurden“, heißt es im Appell- und meint mit „wir“ die drei Initiatoren und alle die diesen Aufruf unterzeichnen. Gelegenheit dazu gab es auch am vergangenen Samstag an einem Stand in der Überlinger Innenstadt. Ja, der Appell ist tatsächlich im Studierzimmer entstanden, jedoch keineswegs ein rein „verkopfter Vorgang“- sondern vielmehr das Resultat der Überlegungen eines Praktikers, der genau weiß wovon er spricht, wenn er in den Appell schreibt „Kriege lösen keine Konflikte, sondern bringen unglaubliches Leid“.

„Jetzt wird die Entscheidung getroffen, ob wir uns als Menschheit endgültig ausrotten“. Kraftvolle Sätze wie dieser kommen unvermittelt, dazu ein fester Blick durch die Brillengläser des Mannes, der an die Wahrheit seiner Aussage glaubt. Um nichts weniger als das zu verhindern geht es ihm, darum der „Überlinger Appell“. Daran lässt der doch eher auf den ersten Blick scheu wirkende Mann nicht den geringsten Zweifel.

Doktor Thomas Mantel, der zweifache Facharzt mit dem Spezialgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, ist ein ausgewiesener Experte für Traumata, und was die Ukraine betrifft ein absoluter Insider. Der Arzt aus Frickingen sieht sich von dem Krieg in der Ukraine persönlich betroffen, hielt er sich doch zwischen 2010 und 2015 regelmäßig in der Ukraine auf. Mantel hatte in dem Land auf dem Ostbalkan eine Weiterbildung für Therapeuten aufgebaut, und ist auch jetzt in Kontakt mit ukrainischen Trauma-Therapeuten. „Ich denke die wären für den Appell, weil sie in ihrer Arbeit unmittelbar damit zu tun haben“, erklärt der Facharzt. Seit 2020 ist Thomas Mantel im ständigen Austausch mit seinen Mitstreitern, Udo Daecke und Franz Arndt, und zusammen haben sie ihre Aufforderung, keine Kriegswaffen mehr in die Ukraine zu liefern, formuliert.

Gewalt erzeuge langfristige Schäden bei den betroffenen Menschen, erzählt der 71-jährige Thomas Mantel aus den Erfahrungen seiner langjährigen Praxis. Man könne doch erkennen, dass auch Deutschland die Trauer über den 2. Weltkrieg bis heute nicht bearbeitet habe, sagt der Mann, der sich selbst als „von Natur bin ich Pazifist“ beschreibt. Für Mantel, der auch im Vorstand des Kreisverbands der Partei „dieBasis“ (Basisdemokratische Partei Deutschland) sitzt und damit zum ersten Mal ein politisches Amt innehat, wie er erklärt, ist Wladimir Putin, der russische Präsident, ein skrupelloser Gewaltherrscher- und das Geschehen in der Ukraine ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg.

Was kann also ein solcher „Appell“, Worte formuliert, gefasst auf einem Stück Papier bewirken? Sollte ich den „alten weißen Männern“ noch das Wort „naiv“ hinzufügen?

Für Thomas Mantel ist der „Überlinger Appell“ ein denkbarer Weg, sagte er und lächelte: „Ich hoffe das Putin schon noch erreichbar ist, bezüglich des Leids das er auch über sein Volk bringt“. Der Psychiater erkannte auch den spirituellen Aspekt eines Krieges und fügte hinzu: „Der Schaden den ich bringe, der fällt auf mich zurück“.

Eine erste Fassung ihrer Forderung nach Liebe, Achtsamkeit, Lebensfreude und somit einem harmonischen Zusammenspiel mit allen Wesen und der Natur, als Ausdruck der positiven kosmischen Kräfte, ging Ende April 2022 an alle Mitglieder des Deutschen Bundestags und an die Bundesregierung. Keine Reaktion.

Das Thomas Mantel, der 2014 in der Ukraine war und wie er es nennt „hautnah“ erlebt hat, wie groß das Leid bereits damals in dem so sehr gebeutelten Land war, macht den Unterschied vom Theoretiker zum Praktiker, und setzt den „Überlinger Appell“ in einen anderen Kontext.

Dass der zweifache Facharzt zu den Unterzeichnern des „Krefelder Appells“ am 15. November 1980 gehörte, bleibt der Vollständigkeit halber hinzuzufügen. Überrascht hat es mich nicht mehr. Machen wir also aus dem alten weißen Mann einen älteren Herrn mit zugegeben weißer Hautfarbe und vermutlich Studierzimmer- und streichen wir die Alibifunktion ersatzlos. Thomas Mantels Unterschriftenliste wird vermutlich niemals die Millionen-Grenze überschreiten, seine Lieder werden von denen nicht gehört, die auch den an sie adressierten „Überlinger-Appell“ nicht beantworten- ja vielleicht nicht einmal lesen. Das beste Gegenmittel gegen die Ohnmacht ist jedoch die Aktion, wie vielfältig sie auch immer aussehen mag. Darin würde mir der Psychiater und Psychologe und auch seine beiden Mitstreiter Daecke und Arndt bestimmt beipflichten.


Überlinger Appell: Sofortige Beendigung aller Kriege!

Wir, freie Bürger der Bundesrepublik Deutschland, erwarten die sofortige Beendigung der Kriegshandlungen in der Ukraine und aller Kriege der Welt, die von verschiedenen Ländern neben Russland initiativ begonnen wurden.
Kriege lösen keine Konflikte, sondern bringen unglaubliches Leid für die betroffenen Menschen, Wesen und die Natur. Sie schaffen neue schwerwiegende Probleme.
Wir wünschen eine sofortige Beendigung jeglicher Gewaltherrschaft. Weiterhin ist eine Rückbindung an die übergeordnete kosmische Grundordnung, die unsere Vorfahren noch aus selbstverständlichem Empfinden respektierten, unabdingbar. Sie ist es, die wirklich alles Leben friedfertig ermöglicht und uns mit besten, humanen Entwicklungschancen ausstattet.
Liebe, Achtsamkeit, Lebensfreude und ein harmonisches Zusammenspiel mit allen Wesen und der Natur sind Ausdruck der positiven kosmischen Kräfte. Mit ihrer Hilfe schaffen wir eine lebenswerte Zukunft für uns, unsere Kinder und Kindeskinder. Wir schaffen eine neue Weltordnung mit wirklich positiven und nachhaltigen Zukunftsperspektiven für alle Menschen, Tiere, alle Wesen, der gesamten Natur und der ganzen Erde.
Mit diesem Appell fordern wir die Bundesregierung auf,
- Keine Waffen in das Kriegsland Ukraine oder in ein anderes Land mit Kriegshandlungen zu liefern.
- Alle Ressourcen und Fachleute, die kompetent sind, zu nutzen, um einen sofortigen Waffenstillstand mit den Kriegsparteien auszuhandeln.
- Humanitäre Hilfe der leidenden Bevölkerung in der Ukraine, in Russland und anderen Ländern höchstmöglich zu leisten.
Wir fordern die Bevölkerung auf, diesen Appell zu unterstützen, um durch unablässigen und wachsenden Druck der öffentlichen Meinung eine Sicherheitspolitik zu erreichen, die statt Aufrüstung der Bundeswehr die Finanzmittel zur Umsetzung deeskalierender, Frieden schaffender Maßnahmen unter Nutzung der vorhandenen Fachleute massiv zu erhöhen. Weiterhin sollen weltweit friedliche Konfliktlösungsstrategien finanziell unterstützt und hoch gewichtet werden.

Thomas Mantel, Udo Daecke, Franz Arndt
Kontakt zur Unterstützung des Appells: thomasmantel@tdmail.de


Krefelder Appell: „Der Atomtod bedroht uns alle – keine Atomraketen in Europa!“

Nach der Aufstellung neuer sowjetischer SS20-Mittelstreckenraketen kündigte die NATO im sogenannten NATO-Doppelbeschluss die Aufstellung neuer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa an und verlangte Verhandlungen der „Supermächte“ zur Begrenzung der atomaren Mittelstreckenraketen.
Daraufhin rief die westdeutsche Friedensbewegung im Krefelder Appell vom 15./16. November 1980 als Minimalkonsens dazu auf, die Zustimmung der im NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979 festgelegten Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zurückzuziehen und vom nuklearen Wettrüsten Abstand zu nehmen. Der Appell war das Resultat eines Treffens von 1.500 Delegierten der „alten“ („Kampf dem Atomtod“, „Ostermarschbewegung“) und der „neuen“ Friedensbewegung (Persönlichkeiten wie die Grünen Petra Kelly und Gert Bastian, sowie von Delegierten der Jugendorganisationen der SPD und der FDP. Den erstellten Text beschlossen die Teilnehmer des „Krefelder Forums“ gemeinsam und einstimmig. Die anschließende Unterschriftenkampagne wurde von der „Deutschen Friedensunion“ durchgeführt und so wurden bis 1983 über 4 Millionen Unterschriften gesammelt. Der Appell brachte die Ängste zum Ausdruck, die viele Bürger unabhängig von individuellen Weltanschauungen und politischen Meinungen teilten.
Nach Erscheinen wurde der Krefelder Appell jedoch von dem im Bundestag vertretenen Parteien und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) abgelehnt. Als Reaktion darauf verfasste die SPD den „Bielefelder Appell“, der außerhalb der SPD aber kaum Resonanz bekam.

Die große Resonanz der westdeutschen Bevölkerung auf den Krefelder Appell führte dazu, dass dann der DDR-Dissident Robert Havemann und der oppositionelle Pfarrer der Berliner Samaritergemeinde Rainer Eppelmann im Dezember 1981 als Pendant den „Berliner Appell“ unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ und der Forderung „Fort mit den Atomwaffen. Ganz Europa muss zur atomwaffenfreien Zone werden.“ aufsetzten. Die SED und die Kirchenleitung jedoch lehnten den Appell ab und versuchten die Verbreitung zu verhindern, so dass bis April 1982 nur 4.000 Unterschriften gesammelt wurden.

Die NATO führte trotz der großen Friedensbewegung die geplante Raketenaufstellung durch, und so konnten sich die Friedensbewegungen auf keinen weiteren Konsens wie „Entmilitarisierung Europas“, „Austritt aus der NATO“ oder „Vollständiger Verzicht auf militärische Verteidigung“ einigen.
Sowohl der Krefelder Appell, Bielefelder Appell als auch der Überlinger Appell haben ganz ausdrücklich nichts zu tun mit einem „Neuen Krefelder Appell“.

Quellen:
https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0023_kre&l=de
https://www.helmut-schmidt.de/aktuelles/detail/vor-40-jahren-der-krefelder-appell
https://www.havemann-gesellschaft.de/aktuelles/aus-dem-archiv/frieden-schaffen-ohne-waffen-40-jahre-berliner-appell/
https://www.deutschlandfunk.de/frieden-schaffen-ohne-waffen-102.html



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Kommentare

Kommentar von Stefan Krämer |

Vielen Dank für das Engagement. In Frieden und als freier Mensch gesund zu leben sollte für jedermann das Wichtigste sein.

Beim Lesen muss ich aber in der ersten Zeile schmunzeln. "freie Bürger der Bundesrepublik Deutschland" ist leider nicht zutreffend, denn frei sind wir auf keinen Fall. Alles was wir in der BRD/BUND erleben hängt mit dem fehlenden Friedensvertrag zusammen. Deutschland ist ein besetztes Land und finanziert die Besetzer, wie es auch in Art 120 GG steht. Endlos viel Finanzkraft wurde seit über 100 Jahren vernichtet, solange nur wir es nicht bekommen. Wir sind nichts anderes als die Bürgen der BRD/BUND, Personal der Firma Bundesrepublik mit der DUNS Nummer 34-161-1478, wie schon Sigmar Gabriel es ganz klar aussprach.

Das Resultat der Geldvernichtung ist offensichtlich. Eine niedrige Eigentumsrate, wenig Ersparnisse, die niedrigste Rente und die längste Lebensarbeitszeit. Und während Rentner Flaschen sammeln, Gesundheitspersonal nicht mal mehr beklatscht wird, Bedürftige (z.B. Artal) keinen Pfennig bekommen, erhalten NGO's und andere Länder ohne Zweckbindung Milliardenbeträge. Transparenz der Ausgaben: NULL, wie auch für Corona. Im Land wird regelmässig so viel Geld vernichtet, dass die Bürgen schon gar nicht mehr kritisieren. Stuttgart 21, BER, Elbphilharmonie, PKW Maut, Eurokopter, Eurodrohne, Eurofighter, etliche Finanzskandale (Cum-Ex) und nur Gott weiss was noch alles.

Kann eine Lösung mit irgend etwas anderem starten als einem Friedensvertrag? Der Bundestag und der Kanzler werden dabei nicht unterstützen. Die letzen zwei Jahre haben das mehr gezeigt als irgendwann zuvor.

Kommentar von Roland Kaim |

Ich bin ganz eins mit dem Überlinger Appell und habe ihn deswegen auch unterschrieben. Möge der Wunsch nach Frieden ohne den Einsatz von Waffen und auch, wie ich zudem meine, der Wunsch einer weltweiten gerechten Wirtschaftsordnung zum Wohle aller auf einen guten Weg kommen.

Kommentar von Gerhard Fischer |

Abgesehen davon, dass solche Appelle die Adressaten unbekümmert lassen, vielleicht auch wegen der geringen Mitzeichnung, sind sie auch immer, wie in diesem Fall, ein Ausdruck positiven Denkens.
Zum Krieg und der von T.M. geäusserte Meinung zu Putin - das mag sein Recht sein sich so zu äußern - sollte man eine Parteilichkeit vermeiden, denn auch wenn Putin den Krieg begonnen hat, sollte berücksichtigt werden, dass die Ukraine ebenso einen Despoten als Präsidenten hat und man sollte auch daran denken, dass seit 2014 in der Ukraine intern Krieg geführt wird. Es ist nicht so leicht hier Neutralität aufzubringen, dank der einseitigen Berichterstattung unserer Mainstream-Medien.

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