Wunderliches damals und heute – von neuzeitlichen Schwanzmenschen zu den (modernen) Nanas der Niki de Saint Phalle

von Ruth Meishammer (Kommentare: 0)

  • Städtische Galerie „Fauler Pelz“ mit Ausstellungen zum 150. Stadtjubiläum Überlingens
  • Ein Presserundgang mit Ausstellungskuratorin Claudia Vogel und Kulturamtsleiter Michael Brunner

Als Bernhard von Breydenbach von seiner Pilgerreise nach Ägypten zurückkehrte, illustrierte er im Jahre 1486 seine Reisebeschreibung mit eindrucksvollen Holzschnitten seines niederländischen Reisebegleiters. Einer der Höhepunkte der Illustrationen bildet das Blatt mit den sechs exotischen Tieren, unter denen ein prachtvolles Einhorn hervorsticht.

Ausstellungskuratorin Claudia Vogel hat unter den insgesamt 57.000 Bänden der Leopold-Sophien-Bibliothek unter anderem dieses Exemplar für die jüngst eröffnete Sonderausstellung ausgewählt. Wunder- und Fabelwesen abzubilden war durch die Jahrhunderte hindurch absolut üblich. Das Besondere aber sei, so erläutert Claudia Vogel, dass der Autor hier den gleichen Wahrheitsgehalt für die Sichtung des Einhorns anmelde wie für seine Sichtung von Krokodil, Salamander und Kamel. Während bei Letzteren die korrekte Bezeichnung neben der Illustration zu sehen ist, steht beim Einhorn und bei einem Menschen mit Löwenkopf: „namentlich nicht bekannt“. Es wird aber – in lateinischer Sprache - versichert: „Die Tiere sind wahrhaftig so gezeichnet, wie wir sie im Heiligen Land gesehen haben.“ Die Kuratorin führt uns vorbei an einem der ersten Atlanten (1601), der verschiedene großformatige, geografische Karten enthält und der den Lesern erstmals ein Gefühl für Raum und Größe dieser Welt vermittelte. Besonders eine ausgestellte Karte des schweren Buches lädt zum Verweilen ein: Es ist eine äußerst detaillierte Karte von Island. Während auf den gezeichneten Eisschollen Eisbären weilen, wimmelt es im Wasser nur so von greulichen Meeresmonstern und herrlichen Mischwesen. Auch auf dieses Exponat ist Claudia Vogel stolz. Es gebe etliche verborgene Schätze hier in der Überlinger Bibliothek und Anfragen zur Ausleihe kämen immer wieder aus der ganzen Welt.

Die geneigte Ausstellungsbesucherin wäre an dieser Stelle eigentlich schon mehr als angefüllt und satt gewesen; wahrscheinlich empfiehlt es sich für den Besuch der anderen Sonderausstellung ein weiteres Mal zu kommen.  Es ist doch ein bisschen viel, wenn man aus dem kleinen, feinen Separée der Buchillustrations-Ausstellung heraustritt und sich zu orientieren versucht in der zweiten Ausstellung, deren Konzept sich nicht so leicht erschließt.

Zum 150-jährigen Jubiläum möchte die Städtische Galerie Überlingen Höhepunkte aus der städtischen Kunstsammlung – von der Renaissance bis zum Jahr 2021 - präsentieren.  Die Werke sollen aus ungewohnten Perspektiven betrachtet werden und deshalb ist die Ausstellung in vier Themenfelder gegliedert. K: „Die Regeln der Kunst“, „Modern oder antimodern?“, „Dürer und sein Echo“ und schließlich „Der Kampf der Frauen: Künstlerinnen von der Antike bis zum Feminismus“. In der Untergliederung erkennt man die Absicht, den BesucherInnen eine Strukturierungshilfe an die Hand zu geben, aber ob dies den Besuch wirklich leichter macht? Das darf jeder und jede für sich herausfinden.

Kulturamtsleiter Michael Brunner nimmt uns an diesem Morgen an die Hand und übernimmt das sonst schwierige Unterfangen der Orientierung. Ungewöhnlich ist in einer der vier Teilausstellungen die Vergabe von Noten. Die Noten auf einer schultypischen Skala von eins bis sechs sollen Auskunft über Modernität und künstlerische Qualität des jeweiligen Bildes geben: Modern oder anti-modern? Ob es Meinungsverschiedenheiten bei der Beurteilung der Kunstwerke gab, möchte ich wissen. Brunner lächelt. Er saß allein in der Jury.

Gespannt bin ich auf die letzte Station der Führung: Das Themenfeld „Der Kampf der Frauen. Künstlerinnen seit der Antike.“ Brunner erzählt, dass Malen zwar 2.000 Jahre lang Männersache war, dass aber bereits antike Autoren von Malerinnen in der griechischen und römischen Antike berichten. Heute seien die wenigen in der Geschichtsschreibung überlieferten Künstlerinnen komplett vergessen.  Ich frage nach dem Kriterium für die Aufnahme in das „Frauen“-Themenfeld der Ausstellung und möchte wissen, ob die ausgewählten Gemälde denn ein explizites Frauensujet hätten oder einfach nur von einer Künstlerin gemalt seien? Der Kunsthistoriker überlegt. In der Tat gehe es nicht allein um das Geschlecht des oder der Schöpfenden. Und so sind unter den Bildern auch einige von Männern gemalte. Als ich Michael Brunner bitte, sich doch einmal vor ein Bild zu stellen, das ihm besonders am Herzen liegt, winkt er erst ab.  Aber wir finden denn doch eines aus der Frauen-Reihe: Ein ganz modernes von 2021, welches das Land Baden-Württemberg aus Corona-Sondermitteln für 10.000, Euro erworben und den Überlingern als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat: „Aufbruchsstimmung (1868)“. Es ist an eine Illustration aus dem Jahre 1868 angelehnt und zeigt eine Frauenkunstschule. Was Brunner an diesem Bild gefällt? „Die Verwandlung in zeitgenössische Farbigkeit!“, sagt er begeistert. Zu guter Letzt fällt mein Blick auf eine „Nana-Tapete“ der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle. Da sind sie wieder: wunderliche Tiere und Mischwesen, die sich um eine Nana herumgruppieren. So schließt sich der Kreis zur ersten Ausstellung und man darf kräftig ins Grübeln darüber kommen, ob man der Aussage des Titels „Gestern war die Welt noch wunderlich“ wirklich zustimmen mag.  

Städtische Galerie „Fauler Pelz“ Überlingen Anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Kunstsammlung Überlingen hat die Stadt Überlingen am 25. Mai 2022 zwei neue Sonderausstellungen zu den städtischen Sammlungen eröffnet. Die Ausstellungen tragen folgende Titel:

  • „Von Dürer bis heute. 150 Jahre Kunstsammlung Überlingen“
  • „Gestern war die Welt noch wunderlich. Buchillustrationen aus der Leopold-Sophien-Bibliothek Überlingen“

Die Ausstellung ist noch bis zum 20. November 2022 zu sehen.
www.staedtischegalerie.de



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