Kreuzträgerprozess - ein politisches Urteil

von Stef Manzini (Kommentare: 1)

  • „Kreuzträger-Prozess“ endet vorläufig mit „Schuldig“.
  • Gericht folgt der Staatsanwaltschaft.
  • Verteidigung fordert Freispruch und geht in Berufung.
  • Angeklagter ist jetzt vorbestraft und zahlt 30.000 Euro.
  • Folge der Demonstration am Wohnort des Ministerpräsidenten.

Ab wann ist man ein Anführer? Im sogenannten „Kreuzträger-Prozess“ vor dem Amtsgericht Sigmaringen wurde heute das Urteil verkündet. Schuldig. Der 52-jährige Udo Schulz wurde vom Gericht als Anführer einer nicht genehmigten Demonstration, am 13. Februar dieses Jahres im Sigmaringer Teilort Laiz, dem Wohnsitz von Ministerpräsident Winfried Kretschmann verurteilt. Mit 120 Tagessätzen zu 250 Euro, also einer Gesamtstrafe von 30.000 Euro, gilt der Angeklagte jetzt auch als Straftäter (vorbestraft). Sein Verteidiger plädierte auf „Freispruch“, da seinem Mandanten eine „Anführerschaft“ nicht nachgewiesen werden könne. Geschockt und überrascht war Schulz nach der Urteilsverkündigung, und sieht sich komplett unschuldig verurteilt. Richterin Selig folgte mit ihrem Strafmaß nach §26 Absatz 2 Versammlungsgesetz der Staatsanwaltschaft, und begründete ihr Urteil: „Um ein Leiter zu sein reicht es schon aus, wenn einer der faktische Leiter ist, und sich vor Ort verhält wie ein Leiter“, und genau daran hatte die Richterin keinen Zweifel. „Strafschärfend“ nannte es Richterin Selig, dass durch die Ortswahl an den Mandatsträger Kretschmann ganz bewusst das Signal gesendet wurde: „Wir wissen wo du wohnst“. Als „bedrohlich“ bezeichnete Selig die Lage, obwohl alles friedlich abgelaufen wäre, so die Richterin.

Den zweifelsfreien Beweis dafür, dass sein Mandant diese ungenehmigte Veranstaltung angezettelt oder angeführt- also geleitet hat sieht der Verteidiger, Rechtsanwalt Tomislav Duzel aus Konstanz, als nicht erbracht. Sein Mandant sei daher freizusprechen, allenfalls könne das Gericht ihn aufgrund der Teilnahme zu einer Ordnungswidrigkeit nach §29 Versammlungsgesetz bestrafen, argumentierte Duzel. Der Verteidiger kündete noch im Gerichtssaal an, in Berufung zu gehen, der nächste Prozess würde dann vor dem Landgericht in Hechingen stattfinden.

Die Strafe sei ein Signal, sagte Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Beiter in seinem Plädoyer, denn die Tat füge sich ein gegen eine zunehmende Bedrohung gegen Mandatsträger, womit der Ministerpräsident von Baden-Württemberg gemeint ist. Zwei Sigmaringer Bürger, die als Prozess-Beobachter gekommen waren, und selbst erklärten nicht zur „Corona-Protest-Bewegung“ zu gehören, zeigten sich vom Urteil sehr überrascht. Es hätte auf Freispruch lauten müssen, denn dem Gericht sei es nicht gelungen, den Angeklagten der Anklagepunkte zu überführen, sagten sie. Die beiden älteren Herren sprachen im Anschluss an die Verhandlung von einem politischen Urteil. Tatsächlich blieb die Anklage die zweifelsfreien Beweise zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz schuldig, auch die vom Gericht einvernommen Zeugen erbrachten dazu keine endgültige Klärung. Der Verurteilte gab an, an jenem Sonntag im Februar mit seiner Freundin und seinen drei Hunden lediglich in Laiz spazieren gegangen zu sein. In einer Menschenmenge von rund 60 Personen stach der 2,03 Meter große Mann deutlich heraus, der zudem ein Holzkreuz trug. Dies sei ein Symbol seiner religiösen Überzeugung, sagte Udo Schulz, der eine silberne Kette mit dem Bildnis der „Jungfrau Maria“ um den Hals trägt. „Religionsfreiheit“ nennt das sein Verteidiger. Eine von der Verteidigung benannte, und am heutigen Prozesstag vernommene Zeugin die ebenfalls an dem „Spaziergang“ teilgenommen hatte, gab zu Protokoll: „Es hat keiner eine Anweisung gegeben wohin wir gehen sollten, auch Udo Schulz nicht“. Das „wahnsinnige Polizeiaufgebot“ habe sie entsetzt, auch sei sie heute als Zeugin gekommen, um den Angeklagten zu entlasten. Auf die Frage nach einer alternativen Wegstrecke antwortete die Zeugin: „Nein, die gab es eigentlich nicht“. Die Polizeikräfte vor Ort hatten den direkten Zugang zur Anwohnerstraße von dem Ehepaar Kretschmann abgesperrt, so das ein direktes Vorbeigehen am Haus des Ministerpräsidenten gar nicht mehr möglich war. Empört habe sie die bisherige Berichterstattung zu diesem Prozess, da sie (die Berichterstattung) ihrer Meinung nach nicht der Wahrheit entspräche.

Oberstaatsanwalt Beiter hob in seiner langen Anklage immer wieder ein Zitat aus einer Mengener Telegram-Chat-Gruppe hervor, wonach Kretschmann als „Hirnverbrannt“ bezeichnet wurde. Das genaue Zitat lautet: „Unserem hirnverbrannten Landesvater einen Besuch abstatten“. Dieses Zitat hat aber nichts mit dem Angeklagten zu tun, wohl aber folgerte Beiter daraus eine Haltung, und ließ keinen Zweifel daran, dass diese ihm nicht gefiel. In einem kurzen Schlagabtausch zwischen Anklage und Verteidigung warf Rechtsanwalt Duzel ein, es habe vor Gericht keinen Unterschied zu machen ob man bei Kretschmann Spazierengehe oder vor dem Haus einer Klofrau. Duzel beschuldigte den Staatsanwalt ganz klar: „Sie wollen hier gar kein Urteil nach Rechtsstaatlichkeit fällen“. Diese Diskussion wolle sie hier nicht, fuhr Richterin Selig den beiden Männern dazwischen.
Der Angeklagte sei für ihn zweifelsfrei der „Standartenträger“, der wüsste wo Kretschmann wohne. „Er ist der Leiter“, entgegnete Beiter. In seiner langen teilweise auch polemischen Anklageverlesung sprach der Oberstaatsanwalt aus Hechingen von so wörtlich: „einer Antihaltung gegen das System“, die er im gesamten Prozessverlauf, auch bei den Zeugen, festgestellt habe. Auch Zeuge Olaf Sch. habe sich unschön verhalten. Dem Angeklagten warf Beiter vor: „Das ist eine Zumutung was sie hier bieten“. Zeuge Olaf Sch. aus Stockach muss sich nun wegen Wiederstand gegen die Polizei aufgrund des „Gerangels“ um sein Smartphone, das er am vorhergehenden Gerichtstag nicht abgeben wollte verantworten. Sch. sagt dazu: „Ich habe doch nichts gemacht, nur als der Polizist mich angefasst hat, habe ich das etwas abgewehrt“.

Für Rechtsanwalt Duzel sah das Ergebnis der Beweisaufnahme gänzlich anders aus, als von der Staatsanwaltschaft dem Gericht dargelegt. Seiner Meinung nach habe die Polizei und nicht sein Mandant bei dem sogenannten „Spaziergang“ die Richtung vorgegeben, der Angeklagte hätte gar nicht anführen, sondern nur der nicht von der Polizei abgesperrten Wegstrecke folgen können. Als für ihn objektives Beweismittel erläuterte Duzel, dass es auf dem von der Polizei beschlagnahmten Smartphone des Angeklagten keinerlei Beweise eines Aufrufs zur genannten Veranstaltung gegeben habe.

In diesem Fall sahen aber sowohl Staatsanwaltschaft als auch Richterin die Wichtigkeit eines Telegram-Chat-Verlaufs, anders als beim „hirnverbrannten Kretschmann“, als nicht relevant an.

Die Polizeikräfte, die in Laiz in großer Zahl in Bereitschaft waren, was Richterin selig als unbedingt erforderlich bezeichnete, lösten die Versammlung der rund 60 Teilnehmer nicht auf. Dies habe doch zur Folge, dass ein Teilnehmer nun davon ausgehen müsse, es handele sich dabei um eine genehmigte Veranstaltung, argumentierte der Konstanzer Rechtsanwalt Duzel. Zusätzlich sei bei einer Körpergröße von über zwei Metern seines Mandanten es wohl eher ein psychologischer Grund, der ihn für das Gericht hier zum Anführer mache begründete Duzel seine Forderung nach Freispruch.

Richterin Selig begründetet ihr Strafmaß auch mit einem Video-Beweis, da habe man gesehen das der Angeklagte „vorne dran stand“. Der Angeklagte habe Anweisungen erteilt, die Menge habe gestoppt, als er eine Zigarettenpause gemacht habe. Was im Vorfeld der Veranstaltung stattgefunden habe spielt laut Richterin Selig keine Rolle für ihre Urteilsfindung. Entscheidend dafür sei viel mehr, dass der Angeklagte keine Nachforschungen darüber angestellt habe, dass es sich in diesem Fall um eine nicht genehmigte Versammlung gehandelt habe. Auch über damalige „Corona-Auflagen“ habe sich der Angeklagte nicht informiert. So habe er die nicht genehmigte Demonstration billigend in Kauf genommen. In ihrem Strafmaß von 120 Tagessätzen zu je 250 Euro entspricht die Richterin der Staatsanwaltschaft, diese führte aus, dass der Angeklagte neben seinen offengelegten monatlichen Bezügen noch über weitaus größere Nebeneinkünfte verfüge.

Für den Verteidiger Rechtsanwalt Duzel handelt es sich bei dem verkündeten Richterspruch um „ein ganz eklatantes Fehlurteil“, dass zu korrigieren er nun Berufung eingelegt habe.

Ab wann ist man ein Anführer? Genau dann, wenn das Gericht es festgestellt hat, lautet heute die Antwort.


Zum politischen Gerichtsurteil im "Kreuzträgerprozess" auch ein Kommentar von Stef Manzini (In dubio pro reo!).



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Kommentare

Kommentar von Stephan Wunderlich |

Dieses Urteil ist ein juristisches Fiasko. Gefühlt war das wohl für jeden im Saal klar. Doch wo liegt der Fehler? Wo liegt der juristische Irrtum, mit dem die Richterin ihr falsches Urteil zu rechtfertigen sucht? So einfach und klar das deutsche Strafrecht ist, so einfach und klar lässt sich auch der Fehler ausmachen:

Der Fehler liegt darin, dass der §14 nur anzuwenden ist für Personen, die eine Versammlung vorher ankündigen oder dazu aufrufen. Diese Personen sind dann verpflichtet, dies 48 Stunden vor der Ankündigung (also nicht vor der Versammlung, sondern vor der Ankündigung !) der Versammlungsbehörde zu melden. Wörtlich heißt es im §14 :

(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.

Wenn der Beschuldigte schon gar nicht, wie die Richterin festgestellt hat, zur Versammlung aufgerufen hat, dann konnte er sie notgedrungen auch nicht 48 Stunden vorher anmelden.

Der Fall, den die Richterin angenommen hat, ist ein ganz anderer. Es ist eine Spontanversammlung. Hier heißt es auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern und für Heimat: „Etwas anderes gilt für Versammlungen, die sich aus aktuellem Anlass augenblicklich bilden. Bei solchen sogenannten Spontanversammlungen entfällt die Anmeldepflicht. Denn Art. 8 Abs. 1 GG schützt auch das Recht, sich spontan zu versammeln.“ https://www.bmi.bund.de/DE/themen/verfassung/staatliche-ordnung/versammlungsrecht/versammlungsrecht-node.html

Die Richterin hätte sich schon entscheiden müssen: Entweder es gab vom Beschuldigten einen Versammlungsaufruf, dann hätte er ihn anmelden müssen, aber wenn es vom Beschuldigten keinen Versammlungsaufruf gab und er nur vor Ort zum Versammlungsleiter wurde, dann gibt es keine Meldepflicht.

Nach diesem Urteil müsste man nun immer, wenn man nach draußen geht und Menschen trifft, vorsorglich 48 Stunden vorher eine Versammlung anmelden. Sonst macht man sich strafbar, wenn man mit diesen Menschen spricht oder gestikuliert. Das ist natürlich Willkür.

Die Richterin stand unter Druck. Gleich ob es ein politisches Urteil war oder nicht, und gleich was sie zu diesem Urteil motivierte. Das Urteil ist fehlerhaft und muss revidiert werden. Das wusste wohl auch die Richterin und deshalb reichte sie nach Urteilsverkündigung dem Anwalt sogleich das Formblatt zum Einlegen der Berufung. Dieser benötigte es gar nicht, er hatte es schon vor der Urteilsverkündigung ausgefüllt. Er hat wohl nichts anderes von diesem Gericht erwartet.

Nun wird am Landgericht Hechingen der gesamte Fall mit allen Zeugen neu aufgerollt und hoffentlich der fundamentale Fehler dieser jungen Richterin behoben.

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