Was ist rechts?

von Ruth Meishammer (Kommentare: 1)

Bild: Stef Manzini
Gastbeitrag

Wenn Freunde aus alten linken Zeiten mich auf aktuelle Demos und Spaziergänge gegen die Corona-Maßnahmen ansprechen, die ich mitorganisiere, dann kommt früher oder später die Bemerkung: „Dann demonstrierst du jetzt also mit Rechten, mit Reichsbürgern und Nazis?!“ Dass mit letzterer Bezeichnung eine krasse Diffamierung im Raum steht, lasse ich erst einmal dahingestellt. Ich drücke ein Auge zu, ich weiß ja, was gemeint ist. Und ich möchte den Menschen Rede und Antwort stehen, die sich ernsthaft Sorgen um unsere Demokratie machen, weil sie glauben, dass Corona-Demos rechtsextrem unterwandert oder gar gesteuert sind.

Die Mehrheit der Corona-Demonstranten kommt aus dem links-alternativen Spektrum - das erschließt sich spontan jedem, der dort vorbeischaut. Die nächste Gelegenheit hierzu gibt es am kommenden Samstag, den 19. März von 14 bis 16 Uhr unter dem Motto "Wir sind die rote Linie" auf den Seesportplatz in Überlingen. Dass ich auf noch keiner Demo Menschen mit kahlrasiertem Schädel oder Springerstiefeln gesehen habe, heißt natürlich nichts. Ich habe allerdings auch weit und breit weder Reichskriegsflaggen, noch irgendwelche anderen verfassungsfeindlichen Symbole erkennen können. Kann ich ausschließen, dass da jemand dabei ist, der sein Kreuz bei der AfD gemacht hat oder sich vor Zuwanderern aus fremden Ländern fürchtet? Kann ich nicht. Das wäre vermessen. Es steht mir auch gar nicht zu und es ist für mich nicht die zentrale Frage. Wichtig ist mir: Dass niemand, mit dem ich demonstriere, Hass und Gewalt propagiert. Hass und Gewalt als Mittel der Problemlösung anzupreisen – das ist für mich ein typisches Merkmal rechtsradikalen Denkens. Überall wo Schuldige, wo Sündenböcke ausgemacht werden, da wird etwas verdreht, da wird ein Problem vereinfacht, das eigentlich komplexer ist. Eine einfache Lösung für ein kompliziertes Problem anzubieten, ist populär und populistisch. Rechtsradikales Denken ist ein Denken in Feindbildern, hinter denen der einzelne Mensch nicht mehr wahrgenommen und im schlimmsten Fall ent-menschlicht wird.

Ich bin der festen Überzeugung, dass hinter diesem Denken, ja hinter jeder Ideologie stets eigene Ängste, Sorgen und Nöte stehen. Diese sind immer legitim. Auch Wut ist legitim. Schwierig wird es, wenn der „Andere“, der Fremde und Feind als Grund für diese Ängste und als Zielscheibe für meine Wut herhalten muss. Besonders gefährlich wird es zumal, wenn ganze Gruppen zu Freunden oder Feinden erklärt werden. In extremer Form findet sich dieses Denken, dieses Propagieren und gar Ausagieren von Fremdenfeindlichkeit bei rechtsradikalen Gruppierungen. Aber eben nicht nur dort. Ich erlebe an mir selber und anderen ständig, wie schnell wir uns ein Feindbild machen und in den Kampf ziehen. In Zeiten wie diesen sowieso. Sind wir etwa alle rechtsradikal? In Situationen, in denen wir mit unseren Ängsten überfordert sind und uns ohnmächtig fühlen, vielleicht schon. Zumindest in Gedanken. Diese Gedanken sollten wir im Blick haben. Überall dort, wo Krieg in den Köpfen ausbricht und im nächsten Schritt verbal auf den „Feind“ eingedroschen wird, dort dürfen wir mit der Abrüstung beginnen.

Ruth Meishammer, geboren 1968 in Frankfurt am Main, studierte Literatur und Philosophie. Sie ist seit 1998 freie Journalistin und hat lange Jahre für verschiedene Hörfunkredaktionen der ARD gearbeitet und sich vor allem dem Thema Rechtsextremismus/rechte Gewalt gewidmet. Sie hat zahlreiche Interviews mit Anhängern und Aktivisten der rechten Szene geführt und hat 2003 das Buch „Weil die ohne Weiber gar nicht können“. Junge Frauen in der rechten Szene im Verlag Herder-Spektrum veröffentlicht.



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Kommentare

Kommentar von Heiner Gallenkämper |

Liebe Frau Meishammer,

vielen Dank für Ihren lesenswerten Beitrag, den ich auch gerne meinen andersdenkenden Freunden zukommen lassen würde. Ich werde es jedoch nicht tun. Es existiert keine Grundlage mehr für eine Kommunikation außerhalb der jeweils eigenen "Denkblase", nicht nur bei mir und meinem Freundes- und Familienkreis. Die eigene Sicht offen darlegen ist nicht mehr möglich.

Ich kann nicht mehr "den Menschen Rede und Antwort stehen, die sich ernsthaft Sorgen um unsere Demokratie machen, weil sie glauben, dass Corona-Demos rechtsextrem unterwandert oder gar gesteuert sind". Sie glauben ALLES, was die Nachrichten propagieren. Und NICHTS, was ein kritisch Zuhörender und Hinterfragender dazu denkt, wird noch als überlegenswert angesehen.

Sie haben sich zum Glauben entschieden, ich zum Unglauben (nicht an Christus, sondern an die offiziellen Nachrichten. Ich persönlich glaube sogar, das Beten mehr hilft, als Debattieren). Wir haben uns entschieden. Der Weg zurück wird sehr schwer, eventuell geht es auch gar nicht mehr. Den Menschen, die sich für diesen Glauben entschieden haben, können wir mit Erklären und Rechtfertigen, mit Bezeugen und Beweisen nichts mehr glaubhaft machen.

Ich muss aber auch zugeben, dass ich gewissen Wissenschaftlern und Politikern nicht einmal mehr Glauben schenken kann, wenn sie behaupten, die Erde sei rund. Es ist in einer Weise gelogen worden, unausgesetzt und mit voller Absicht, mit vollem Kalkül, dass es kein Vertrauen mehr geben wird.

DAS ist das eigentlich Tödliche an dieser Pandemie, die auch nach einem "Freedom-Day" nicht enden wird.

Die Neuinszenierung dieses Dramas ist die Ukraine-Krise. Genau das gleiche Schema und genau das gleiche Ergebnis: der Schuldige ist ausgemacht. Die große Mehrheit glaubt das und duldet keine Infragestellungen. Das Ende der Demokratie hat bereits stattgefunden, da offene Gespräche zwischen Andersdenkenden nicht mehr möglich sind.

Zunächst erinnerte mich das Geschehen an die Situation im "Deutschen Herbst", auch da waren die kritisch Denkenden eine kleine Minderheit und galten als Gefahr für die Demokratie. Inzwischen jedoch sehe ich, dass wir viel weiter gekommen sind als damals. Hoffentlich bin ich in einem Irrtum, den mir jemand aufzeigen kann.

Es ist löblich, dass Sie sich um weitere Kommunikation bemühen, ich wünsche Ihnen den Erfolg dabei, der mir seit langem verwehrt bleibt.

Herzliche Grüße
Heiner Gallenkämper

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